Diese Betrachtung ist vielleicht sogar noch etwas zu limitiert im Umfang:
Anders als zu Beginn des 20. Jahrhunderts gibt es heute keine bekannten Intellektuellen, die lautstarke Erklärungen für Frieden, "Unabhängigkeit des Geistes" und Demokratie abgeben. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, existierten drei Imperialismen nebeneinander: der russische, der englische und der preußische Imperialismus. Niemand bezweifelte, dass der preußische Imperialismus der aggressivste der drei war.
Was ist mit dem französischen Imperialismus? Der sich sehr gut im damaligen Afrika verorten lässt? Was mit dem japanischen, der mit dem russischen in Ostasien seit den frühen Jahren des Jahrhunderts im Streit lag? Und was ist nicht zuletzt mit dem damals schon existierenden amerikanischen Imperialismus, beispielhaft manifestiert in Roosevelts Erweiterung der Monroe-Doktrin und dem militärischen Eingreifen in Nordafrika? Die Traditionslinien von damals lassen sich teilweise sehr gut bis heute nachvollziehen.
Was solche lachhaften Figuren wie der genannte Ehemann von Frau Nuland an Geschwurbel zum amerikanischen Sendungsbewusstsein und angeblichem außenpolitischen Altruismus zu sagen haben, ist ohnehin nicht ernst zu nehmen. Hat man das korrupte System der Pahlavis im Iran aus reinem Altruismus unterstützt und deswegen Mossadegh gestürzt? Und wie war das mit der jahrelangen Unterstützung des Faschisten Franco? Und was war mit dem Diktator Ferdinand Marcos, der nach seinem Sturz ganz selbstverständlich "ehrenwertes Asyl" in den USA bekam? Um nur ein paar (altruistische?) Fälle zu nennen.
Und die wenigen prominenten (selbst-)kritischen amerikanischen Stimmen wie beispielsweise der von mir geschätzte Noam Chomsky werden natürlich systematisch marginalisiert und ignoriert. Passt gut ins Bild.
Das riecht meilenweit gegen den Wind nach... Verlogenheit. Wie viele zeitgenössische Stimmen nicht-amerikanischer, nicht-transatlantischer Provenienz gibt es denn, die sich ähnlich äußern? Irgendwelche US-Amerikaner oder gekaufte Amerika-Freunde/-innen können sich stundenlang hinstellen und die USA als das Land der weltweit beispielhaften sozialen Errungenschaften und vorbildlicher Zivilgesellschaft preisen, glaubhafter wird es dadurch nicht. Besonders dann nicht, wenn es vor der Kulisse obdachloser Auto-Nomaden bei der Suppenküche und unterbrochen vom Geräusch der Schüsse des/der nächsten Amokschützen/-in passiert.
Die sich auch in Europa immer weiter verbreitende Doppelmoral und selbstgerechte Heuchelei im politisch-medialen Komplex hat einen geistigen Ziehvater: das spätrömisch-dekadente "Imperium" der USA und seine "Vorbilder". Da kann man das Schweigen (vieler) Intellektueller fast schon verstehen. Die sind vielleicht einfach so gründlich angewidert davon, daß die sich eher mit Grausen abwenden?