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  • cassiel

mehr als 1000 Beiträge seit 21.09.2001

Die Volksgesetzgebung in Bayern

kenne ich zufällig aus eigener Anschauung ziemlich gut. Sie ist zwar bundesweit auf Länderebene mit die demokratischste, aber im Vergleich zur Schweiz immer noch demokratisches Mittelalter.
1. Zum einen muss man sehen, dass diese Volksgesetzgebung nur auf Länderebene gilt. Es gibt keine bundesweite Volksgesetzgebung und Bundesrecht bricht Landesrecht. Das bedeutet: egal was das bayerische Volk oder auch der bayerische Landtag an Gesetzen beschließt, es können damit nur Gesetze im Rahmen der föderalen Länderkompetenz (Kultur, Naturschutz etc.) geregelt werden. Schon von daher ergeben sich zwangsläufig Grenzen der direktdemokratischen Mitbestimmung, von Volkssouveränität ganz zu schweigen.
2. Volksbegehren in Bayern können auf Antrag des Innenministeriums vor den BayVerfGH gezerrt werden, der dann über die Zulässigkeit des Volksbegehrens entscheidet. Missliebige Volksbegehren werden so schon mal zerteilt, kastriert oder ganz abgelehnt. Dazu muss man auch wissen dass die Richter am BayVerfGH mit einfacher Mehrheit vom Landtag gewählt werden. Die Vergangenheit hat gezeigt: Volksbegehren, die das System angreifen, werden vom BayVerfGH eiskalt - mitunter unter Rechtsbeugung - abgebügelt.
3. Und dann hat sich der BayVerfGH unter tatkräftiger Mithilfe der CSU für den Volkswillen noch etwas ganz Perfides ausgedacht: verfassungsändernde Volksbegehren - und nur diese, nicht vom Landtag initiierte Verfassungsänderungen - müssen beim Volksentscheid ein 25% Zustimmungsquorum erfüllen. Pikanterweise widerspricht dies dem bayerischen Verfassungsgrundsatz "Mehrheit entscheidet" und der BayVerfGH hat selbst schon einmal Zustimmungsquoren mit Hinweis auf diesen Verfassungsgrundsatz abgelehnt. Aber als es in den 1990ern immer mehr Volkbegehren aufkamen und Volksentscheide von diesen auch gewonnen wurden, hat der BayVerfGH einfach opportunistisch anders geurteilt und vom Gesetzgeber die Einführung von undemokratischen und verfassungswidrigen Zustimmungsquoren nicht nur gefordert, sondern kommissarisch selbst eingeführt. Eine klare Rechtsbeugung, aber in Bayern ticken die Uhren eben anders.

Zusammenfassend bleibt in Bayern nicht viel von der (direkten) Demokratie und Volksgesetzgebung übrig. Lediglich ein paar einfache Gesetze darf das Volk entscheiden. Von den großen gesellschaftlichen Fragen und Problemen und dem System an sich, sind die Bürger in ganz Deutschland direktdemokratisch gesehen Lichtjahre weg. Aber es gibt auch keine nennenswerte direktdemokratische Bewegung in Deutschland mehr. Mehr Demokratie e.V. hat sich von seiner Kernkometenz in die Systemmatrix verabschiedet und pfuscht aktionistisch im Wahlrecht herum und gegen TTIP&Co. und hat sich da vollkommen verschlissen und wird schon lange nicht mehr als direktdemokratische Basisbewegung wahrgenommen.

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