gondorianer schrieb am 21.02.2019 13:07:
Sowohl Bauern als auch Kunden verhalten sich als der vom (neoliberalen) Kapitalismus postulierte "homo oeconomicus", das heißt sie treffen rationale Entscheidungen basierend auf dem daraus resultierenden Einkommen bzw. Warenpreis.
Genau genommen ist kaum etwas so sehr gescheitert wie dieses Modell. Menschen sind alles, aber nicht rational. Sie entscheiden, was ihnen in dem Moment der Entscheidung sinnvoll(!) erscheint, aber rational ist das im überwiegenden Teil gerade nicht. Dieses Modell ist mit einer Wucht widerlegt, da kommt man ins Staunen. Der Buchtip dazu ist Daniel Kahnemann - Schnelles Denken, langsames Denken.
Es ist ganz selbstverständlich, dass jedes Großunternehmen der Welt nur und ausschließlich nach der Maxime der Profitmaximierung handelt. Wenn das Menschenleben kostet (z.B. im Bergbau in Entwicklungsländern), dann ist das eben so, wenn das Umwelt zerstört (z.B. Regenwald), dann ist das eben so, wenn das die Zerstörung der Sozialstandards in einem Land bedeutet (BRD), dann ist das eben so.
Ja, ist so. Das Stichwort hierzu lautet Nash-Gleichgewicht. Und weil sich alle Teilnehmer verhalten wie ein zellulärer Automat, passiert der Rest quasi von alleine.
Und jetzt heißt es: Ja, die Bauern und die Verbraucher dürfen sich natürlich nicht als Marktteilnehmer verhalten.
Weil es natürlich so scheint(!), als wäre ein Spieler verantwortlich für das Ergebnis seines Spiels. Als wäre beim Fußball der Torwart Schuld, dass ich kein Tor schieße. Stimmt auch irgendwie, denn der steht mir ja im Weg. Die echte Ursache ist aber nicht der Torwart, der mich doch bitte auch mal gewinnen lassen könnte, sondern das Spiel, welches die Spielfigur Torwart hervorbringt und ihn gemäß seiner Rolle agieren lässt.
Merkt niemand, dass hier zwei völlig verschiedene Verhaltensweisen gefordert werden, im Falle des Konsumenten sogar in einer Person? Einerseits gnadenloser Konkurrent seines Mitmenschen, der jeden Tag versucht alle anderen auszustechen und im nächsten Moment soll er hochedelster Idealist sein, der das seinen Mitmenschen brutal abgejagte Geld für das Allgemeinwohl auf den Kopf kloppen soll. Ganz logisch, oder?
Naja, Marx hat´s gemerkt ;) Man kann es auch psychologischer bekommen und etwas moderner: Byung-Chul Han - Psychopolitik. Es ist *genau* dieser Gegensatz, der die Menschen innerlich zerreißt und kaputt macht.
Nachzulesen ist das in elaborierter Form beim Kommunikationsforscher Rainer Mausfeld (Buch "Wieso schweigen die Lämmer?").
Den kann man auch immer empfehlen, das stimmt. Wobei der eher das "Wie machen die das" beschreibt. Das "Was passiert da" ist mit Spieltheorie etwas besser abgedeckt. Der Kapitalismus neuerer Formen denkt jeden Spieler als Unternehmer seiner Selbst, der sich in der Konkurrenz gegen alle Anderen durchsetzen muss. Abhängig von seiner Charaktermaske (Marx) tritt er als unterschiedliche Spielfiguren auf, je nachdem, wo er sich betätigen muss.
Ist der Verbraucher damit raus aus seiner Verantwortung? Nein. Denn er kann sich ja für ein System entscheiden, das nicht der Profitmaximierung der Konzerne (und damit dem Reichermachen der Superreichen) allerhöchste Priorität einräumt, sondern dem Wohl der Bevölkerung dient.
Naja, entscheiden....ja? Wo gibts das denn? Mal provokant gefragt: Wie komme ich als besitzloser Mensch an sowas elementares wie Nahrung, ohne(!) beim Kapitalismus mitzuspielen und diesen damit zu perpetuieren? Dieses "Der Verbraucher kann sich ja entscheiden" ist doch genau das neoliberale Mantra des allwissenden Kunden: Aus der Abwesenheit direkten Zwangs wird unbedingte Zustimmung gefolgert.
Damit argumentierst du gerade *innerhalb* des Systems selbst, denn du siehst die Schuld nur bei "falschen" Wahlen der dem System Unterworfenen. Als könnten Gefangene aus dem Gefängnis rauskommen, wenn sie nur den richtigen Aufseher wählten^^ Und so landet doch wieder ein großer Batzen Schuld beim allerschwächsten Glied der Kette: Der Verbraucher will´s doch gar nicht anders!