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  • Stefan Brill

mehr als 1000 Beiträge seit 17.04.2007

Was an diesem Artikel schlecht ist


Ich stimme fast vollständig mit Phö<A
HREF="mailto:nix@Hell">nix@Hell</A> überein. Jawohl, dieser
Artikel IST schlecht. Warum? 
Er verkörpert in exemplarischer Weise die sich leider immer mehr
ausbreitende (und von vielen seltsamerweise herbeigewünschte)
populärwissenschaftliche "lockere Schreibe", die im
Grunde doch nur hochgradig verfälschend ist.

Sehr unangenehm ist speziell die ständig wiederholte Unterstellung
von Bewußtsein oder Intention, oder sogar von Gefühlen. Ein
paar Beispiele:

- "Das Netz der Bakterien - ein hinsichtlich der Kreativität
unvergleichbares Gruppengehirn".
Wie kann hier der Begriff "Kreativität" gerechtfertigt
werden? Kreativität ist eine Erscheinung, die interne (geistige)
und sehr vollständige Modellierung der Außenwelt 
voraussetzt, um überhaupt in der Lage zu sein, Lösungen
für  von außen vorgegebene Probleme zu finden. Zur
Erinnerung:  wir reden ja hier von "technischen",
evolutionsbiologischen  Problemen, nicht von z.B. künstlerischer
Kreativität, die aber interne  Modellierung sehr wohl auch
voraussetzt). "Herumprobieren bis es klappt", die hochgradig
erfolgreiche Methode der Evolution, ist eben gerade NICHT kreativ. Was
wiederum eben NICHT heißt, daß sie nicht bessere
Lösungen, womöglich auch noch in größerer Zahl,
finden kann.
Die Verwendung des Begriffs "Gehirn" ist ebenfalls
völlig fehlangebracht. Ein Gehirn besteht aus (üblicherweise
einer großen Menge) unmittelbar und schnell miteinander
Information austauschenden informationsverarbeitenden Untereinheiten,
z.B. Nervenzellen. Alle mir bekannten Gehirne haben außerdem
irgendwo Ein-/Ausgabeeinheiten angedockt, d.h. Rezeptoren und Aktoren.
Meist Sinneszellen (Eingabe) und Muskeln oder Drüsen (Ausgabe),
von mir aus auch Computerperipherie, also Erzeugnisse der Sensorik und
Robotik. Die schneckige "Genkommunikation" zwischen
Generationen und Populationen von Bakterien damit zu vergleichen, ist
ein wenig weit hergeholt.

- "Beim Versuch, die Bakterienfeinde zu benutzen..."
- "Retroviren, unsere Erzfeinde..."
Wie können Bakterien unsere Feinde sein? Ein Feind ist jemand, der
eine INTENTION hat. Schon die Übertragung in anderem Zusammenhang
in der Biologie ("Freßfeinde") ist ein wenig
fragwürdig, aber hier ist er abwegig. Es gibt seitens der
Bakterien keine wie auch immer geartete Intention uns zu schaden. Es
gibt biologisch eingebaute Mechanismen zu überleben und zu
reproduzieren, das ist alles. Wenn das unserem Überleben schadet,
ist das den Bakterien KOMPLETT WURSCHT, ebenso wie wenn es uns
nützt.

- "...die Klugheit des neu entdeckten Feindes."
- "Wir haben die Klugheit der Bakterien..."
- "...haben die Bakterien eine gewaltige Datenbank             
aufgebaut..."
Auch hier wieder die verbale Unterstellung von Bewußtsein.
Es gibt keine Klugheit der Bakterien. Es gibt keine Datenbank (falls
doch: mySQL oder Orakel oder vielleicht MS-Zugriff?). Die
"Datenbank" besteht aus einer Unzahl von im Lauf der Zeiten
an das Umfeld adaptierter, durchaus hochkomplexer
biochemischer/biophysikalischer Konstruktionen. Die
"Klugheit" besteht aus der Möglichkeit zur, sowie der
Flexibilität und Geschwindigkeit der Neuadaptation.

Um ein deutlich verkrassendes Beispiel zu bringen:

<Esoterikheftg'schichterl>

Die Klugheit des Wassers.

Wir alle haben schon oft die erstaunlichen Fähigkeiten des Wassers
beobachtet, aber die meisten unter uns kennen doch nicht all seine
Weisheit. Betrachten wir einmal eine sehr schwierige Aufgabe: Ein
Geologe muß eine hochkomplexe 
Oberfläche erfassen, zum Beispiel die Topographie einer
zerklüfteten Felsschlucht. Was tut er üblicherweise? Er 
fotografiert aus der Luft und vom Boden des Tals. Er kartiert
Geländeprofile. Er klettert mit einer Gruppe Studenten mit
Peilgeräten die Schluchtwände entlang. Er stellt
Meßgeräte auf und scannt mit Computer und  Laserabtastung
das Tal aus mehreren Winkeln. Und doch wird sein Werk nie perfekt sein.


Wie weise ist dagegen das Wasser. Das Wasser ist, wie wir wissen, eines
der ältesten Moleküle des Universums, und dieses Alter hat
womöglich auch zu seiner Weisheit geführt. Geringster Aufwand
und die natürliche Klugheit des Wassers lassen es Probleme
lösen, die dem Menschen noch mit der besten Technik unlösbar
erscheinen. Wie kann sich der Mensch dieses Wissen zu nutzen machen?
Ganz einfach: Er muß nur eine Talsperre bauen, eine Weile warten
bis sich das Tal mit Wasser gefüllt hat, vielleicht auch ein wenig
zusätzlich davon hineinbefördern. Das nahezu Unglaubliche
passiert fast ganz von alleine: Das Wasser bildet um jeden Stein, um
jeden Baum, um jedes noch so kleine Detail des Tals die perfekte
Umhüllung! Das präzise Abbild des Tals ist vollständig
in der Hüllfläche des darüberliegenden Wasservolumens
repräsentiert!

</Esoterikheftg'schichterl>

<Nocheinsdrauf>

Ist das nicht wunderbar?

</Nocheinsdrauf>

Ich hoffe, es wird klar, was ich meine: Das Wasser IST NICHT WEISE. Es
ist simple Physik. UND: das Wasser "kartiert"
tatsächlich besser als der Geologe. Genauso wie die Evolution,
insbesondere bei schnellem Generationswechsel wie bei den Bakterien, an
die Umwelt adaptiert. 

DAS ist das leicht widerwärtige an diesem Artikel. Da ist von
"Teams" die Rede, von "Feinden",
"Erzfeinden" und "Kämpfen", von
"Klugheit", und "Waffen". So fängt man Kinder
<böse>, besonders amerikanische</böse>. Er
benutzt, bewußt oder nicht, Vermenschlichungen,
"Verbewußtseinungen", um den Stoff vermeintlich
interessant zu machen. Das sich der Artikel wie Sektengeschwätz
anhört, hat genau DAMIT zu tun. Die Unterstellung, und sei es nur
unterschwellig verbal, von Bewußtsein, Intention,
Kreativität wo keine ist, mit anderen Worten: die Unterstellung
der Existenz eines intentional handelnden SCHÖPFERS wo keiner ist,
ist abzulehnen.

Daß der fachliche Inhalt, augenzudrückend mal reduziert auf
den wahren Kern, eine brauchbare Überblicksdarstellung sein mag,
bleibt ja unbenommen, vor allem dann, wenn der Leser von den
dargestellten Sachverhalten bisher keine Ahnung hatte.



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