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  • Leser2015

478 Beiträge seit 19.11.2015

Ungelöste Fragen rund um kollektive Identitäten

Naja, dieser emotionalen Wutrede fehlen sowohl Argumente als auch Lösungsvorschläge – gekürzt:

Unter den [durch israelische Gewalt] Getöteten sind unbewaffnete Kinder, Jugendliche, Frauen und Männer, Menschen mit Behinderungen.
(...)
Aber es geschieht nicht in meinem Namen, das sage ich ausdrücklich als Jüdin, als Israelin und als Deutsche.
(...)
Wie könnte ich als Jüdin in Deutschland leben, wenn die Deutschen ihre Schuld nicht mehrheitlich anerkannt hätten?
(...)
Und allen, die uns Juden in Deutschland pauschal für die Aktionen Israels mitverantwortlich machen, sage ich: Nehmt bitte zur Kenntnis, dass es in Deutschland sehr diverse jüdische Stimmen gibt!

Nirit Sommerfeld

Bei dem sogenannten Nahostkonflikt steigt leider schon seit Jahren keiner mehr durch, und sicher sind die sogenannten Palästinenser hinsichtlich deren Status nicht zu beneiden, weil Israel eben seit Jahren Fakten schafft, die völkerrechtlich gewiss umstritten sein mögen, denen aber zumindest überhaupt ein Zukunftsmodell zugrunde liegt, nämlich langfristig die Ein-Staat-Lösung. Diese Lösung wäre wohl auch für alle Beteiligten die naheliegendste, als Problem bliebe das Rückkehrrecht der im Ausland lebenden muslimischen Palästinenser, die im Falle der Einwanderung Israels jüdischen Charakter verwässerten.

Natürlich sterben derzeit auf beiden Seiten Unschuldige, aber wer hat denn ein Ultimatum gestellt und die ersten Raketen abgefeuert? Es war die als Terrororganisation klassifizierte Hamas, und eben nicht Israel; entweder hält die jüdische Autorin tödliche Gewalt zur Konfliktlösung stets für legitim – oder nie.

Und hier stellen sich dann schon gerade aktuelle Identitätsfragen, denn die Autorin versteht sich selbst als eine Jüdin, Israelin, Deutsche, die jedoch in Deutschland kaum leben könnte, wenn "die Deutschen ihre Schuld nicht mehrheitlich anerkannt hätten" (Nirit Sommerfeld). Empfindet sie sich selbst denn als Teil eines Schuldkollektivs oder ist es im eigenen Fall irgendwie ganz anders? Kleiner Tipp: Im zitierten Satz statt des Wörtchens "ihre" einfach besser "dessen" verwenden, und schon ist es richtig, denn der Völkermörder ist Deutschland, keineswegs die Deutschen (und die Kollektivschuldthese gilt als rechts).

Aus ganz ähnlichen Gründen entfällt auch jede Notwendigkeit, sich als jüdische Stimme für die Politik Israels bei allen Antisemiten in Deutschland unter Verweis auf innerjüdische Diversität beinahe schon entschuldigen zu wollen (oder etwa bei Christen für die umstrittene antike Verurteilung eines jüdischen Predigers wegen Hochverrats durch ein damals zuständiges Gericht), und nicht einmal die israelische Staatsbürgerschaft bietet eine rechtliche oder moralische Grundlage für Vorwürfe gegenüber Zivilisten.

Komplett ungelöst ist tatsächlich die Frage, ob deutsche Staatsangehörige aufgrund der historischen Verantwortung Deutschlands gegenüber dem jüdischen Volk überhaupt zur Israelkritik berechtigt sind, also welche individuellen Bürgerpflichten aus der Völkermörder-Staatsangehörigkeit resultieren sollten.

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