... würde der Regierungs- und Konzernpresse unterstellen in irgendeiner Form linkes Gedankengut zu teilen. Das ist wie meist nur ein weiterer Etikettenschwindel. Ganz so, als historisches Beispiel, wie sich die deutschen Faschisten Nationalsozialisten nannten.
Zum Fehletikettieren und den Fehletikettierern etwas ausführlicher:
Medien stiften Gesellschaft und schaffen und formen erst unser Bild von der gesellschaftlichen und politischen Realität. Sie schaffen gemeinsame Denkräume, helfen Erfahrungen in Sinnzusammenhänge zu integrieren und stiften durch eine Synchronisation der Aufmerksamkeit gemeinsame Erfahrungen. Daher sind sie ganz zentrale Instrumente zur Organisation und zur Ausübung von politischer Macht.
Folglich gehen politische Kämpfe zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Interessengruppen stets mit Bemühungen einher, Zugriff auf die Medien zu gewinnen. Da jedoch die Einstiegs- und Betreiberkosten im Bereich der Massenmedien sehr hoch sind, ist es nicht überraschend, dass sie sich überwiegend im Besitz von Konzernen oder Multimillionären befinden und somit deren politische Weltsicht und Interessen zu vermitteln suchen.
Dieser Tatsache muß man sich täglich beim Lesen von „Nachrichten“ bewusst sein, um nicht der naiven Vorstellung zu verfallen, dass Medien uns über die gesellschaftliche Realität unterrichten würden. Die Leitmedien ebenso wie die Massenmedien sind Geschäftsmodelle und dienen so wenig der Vermittlung von „Wahrheit“, wie die Pharmaindustrie der Förderung der Volksgesundheit dient. Indoktrination gehört zum Wesenskern von Medien.
(...)
Der gesamte Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik ist im Gefolge des Neoliberalismus dermaßen verseucht durch eine Orwellsche Umdeutung nahezu aller relevanten Begriffe, dass man ein ganzes „Falschwörterbuch“ benötigte, um die sich darin verbergenden ideologischen Vorannahmen aufzuschlüsseln. Im Neoliberalismus haben sich die Falschwörter zu einem so dichtgesponnenen Gewebe eines ganzen Weltbildes verwoben, dass es nicht leicht ist, die Realität hinter dieser Ideologie zu erkennen.
(...)
Links und rechts sind ja nicht lediglich – in ihrem Bezug auf die Sitzordnung in der verfassunggebenden französischen Nationalversammlung von 1789 – historische Einteilungen entlang einer eindimensionalen Eigenschaft. Als solche wären sie in der Tat nicht nur historisch überholt, sondern auch hoffnungslos unterkomplex. Links steht vielmehr für die normativen moralischen und politischen Leitvorstellungen, die über den Menschen und über die Möglichkeiten seiner gesellschaftlichen Organisation in einem langen und mühsamen historischen Prozeß gewonnen wurden und die in der Aufklärung besonders prägnant formuliert wurden. Den Kern dieser Leitvorstellungen bildet ein universeller Humanismus, also die Anerkennung einer prinzipiellen Gleichwertigkeit aller Menschen.
Bereits aus dieser Leitvorstellung ergeben sich schwerwiegende und weitreichende Folgerungen. Beispielsweise schließt ein universeller Humanismus Positionen aus, die auf der Überzeugung einer prinzipiellen Vorrangstellung der eigenen biologischen, sozialen, kulturellen, religiösen oder nationalen Gruppe beruhen; er schließt also Rassismus, Chauvinismus, Nationalismus oder Exzeptionalismus aus. Zudem beinhaltet er, dass alle Machtstrukturen ihre Existenzberechtigung nachzuweisen und sich der Öffentlichkeit gegenüber zu rechtfertigen haben, sonst sind sie illegitim und somit zu beseitigen.
Aus dem universellen Humanismus ergibt sich also das spezifische Leitideal einer radikal-demokratischen Form einer Gesellschaft, in der ein jeder einen angemessenen Anteil an allen Entscheidungen hat, die die eigene ökonomische und gesellschaftliche Situation betreffen; er schließt also Gesellschaftsformen aus, die auf einer Elitenherrschaft oder auf einem Führerprinzip beruhen. Diese in der Aufklärung erstmals klar formulierten Leitideale sind seitdem kontinuierlich weiterentwickelt und verfeinert worden und stellen den Identitätskern des linken Projektes dar.
Aus:
Die Links-Rechts-Demagogie. Ein Interview mit Rainer Mausfeld.
https://www.uni-kiel.de/psychologie/mausfeld/pubs/Mausfeld_Die%20Links-Rechts-Demagogie_NachDenkSeiten.pdf
Linke Mitte, auch recht interessant:
Wie sich die „verwirrte Herde“ auf Kurs halten lässt: Neue Wege der „Stabilitätssicherung“ im autoritären Neoliberalismus
Und dazu gehört ein ganz wichtiges Mittel: „Die Mitte“. Die „Mitte“ ist etwas ganz Tolles, heute sind alle in der Mitte. Das gehört wieder zum neoliberalen Falschwörterbuch, weil hier ein Begriff neu besetzt worden ist, denn „Mitte“ ist für uns alle etwas ganz Tolles.
‚Mitte‘ suggeriert Harmonie, Ausgeglichenheit, vielleicht auch Geborgensein, ‚Mitte‘ ist ein ganz positives Gefühl, weil wir ungerne zu den Extremen gehören wollen. Der Neoliberalismus hat diesen Mittebegriff neu besetzt, indem jetzt eigentlich mit „Mitte“ eine extremistische Position bezeichnet wird. Nämlich die extremistische Position eines Kampfes gegen Demokratie. Und die „Mitte“ ist sogar eine extrem fundamentalistische Position, weil sie einen Ausschließlichkeitsanspruch hat: Es kann keine Alternativen mehr geben. Die „Mitte“ ist eine extrem fundamentalistische Position mit einem Ausschließlichkeitsanspruch, übt aber auf uns eine gewisse Faszination aus. Wir gehen diesem Wort immer wieder auf den Leim.
Und Sie sehen, wie häufig dieses Wort als Attraktionsmittel in der politischen Rhetorik verwandt wird, und zwar immer im Kontext auch des neoliberalen Programmes.
Tony Blair: „a radical centre in which you are able to take decisions for the future of
the country“
Gerhard Schröder 1998: „Es gibt keine linke oder rechte Wirtschaftspolitik, sondern
nur eine gute oder schlechte Wirtschaftspolitik.“
Emmanuel Macron 2017: „ni droite, ni gauche“ (weder rechts, noch links)
Faschismus: „weder links noch rechts“
Die „radikale Mitte“ – auch eine interessante Wortschöpfung. – Es gibt gar keine Interessengegensätze mehr. Es gibt keine Interessengegensätze zwischen Unternehmer und Lohnabhängigem mehr. Es geht nur noch um ‚Vernunft‘, es geht nur noch darum, ‚rational‘ die besten Lösungsansätze zu finden. Es hat auch keinen Sinn mehr, gegen irgend etwas zu kämpfen, es geht nur darum, die ‚beste‘ Lösung zu finden, denn letztlich sitzen natürlich Unternehmer und Lohnabhängige im gleichen Boot, haben die gleichen Interessen, nämlich: die ‚besten‘ Lösungen zu finden. ‚Letztlich ziehen wir doch alle am selben Strang‘ – das ist die Ideologie, was ja irgendwie auch richtig ist, nur eben an unterschiedlichen Enden.
Interessanter ist hier noch der Punkt – das finden Sie heute ganz häufig -, dass jemand sagt: „ich bin weder rechts noch links“. „Links“, das heißt ja eigentlich für eine gerechte Verteilung und eine solidarische Gesellschaft – und „rechts“ heißt, nicht für eine gerechte Verteilung. Jemand, der weder rechts noch links ist, kann sich eigentlich nur damit noch retten, dass er sagt: „Naja, ich bin völlig apathisch!“
Aus:
28. Pleisweiler Gespräch mit Professor Mausfeld – 22. Oktober 2017
Wie sich die „verwirrte Herde“ auf Kurs halten lässt: Neue Wege der „Stabilitätssicherung“ im autoritären Neoliberalismus
https://www.nachdenkseiten.de/upload/pdf/171022-Mausfeld_Transkript_Landau_NDS.pdf