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  • _Peter_

mehr als 1000 Beiträge seit 18.12.2016

Man wüßte gerne mehr über das Experiment, bevor man die Bewertung dazu liest

Massenimunisierung bedeutet, dass man darauf baut, rund 70 % der Bevölkerung kontrolliert infizieren zu können, sodass über die Bevölkerung hinweg eine Immunität aufgebaut wird, die eine Ausbreitung des Virus verhindert wird. Kontrolliert bedeutet, dass Risikopatienten möglichst zu den 30 % gehören, die nicht infiziert werden.

Schweden hat 10 Mio Einwohner. Von denen müssten also 7 Mio in den nächsten Monaten eine Infektion durchmachen, damit in einem Jahr 70 % der Bevölkerung immun sind. Wenn es längern dauerte, 70 % der Bevölkerung zu immunisieren, wäre es sinnvoller, die Immunsierung über eine Impfung zu erreichen, die in spätestens einem Jahr verfügbar sein soll.

7 Mio Infektionen pro Jahr entspricht - bei einer gleichmäßigen Verteilung - etwa 600.000 pro Monat. Wenn das "Experiment" also "schief geht" - dann nicht, weil zuviele Menschen sich infizieren, sondern viel zu wenige. Mindestens um den Faktor 10 - wenn auf einen positiven Test 10 nicht erkannte Infektionen kommen.

Ist es der Ansatz Massenimmunisierung überhaupt sinnvoll? Auch hier überrascht die vorschnelle Festlegung des Autors, der bereits in der Überschrift die Schlussfolgerung voranstellt. Entscheidend ist nicht, ob es nach drei Wochen in Schweden relativ mehr oder weniger Infizierte gibt als andernorts. Sondern wie die Situation in einem halben, in einem Jahr aussieht. Wird Schweden dann besser dastehen als China? Als Italien? Als Deutschland? Dann nämlich wird man erst entscheiden können, welche Strategie gegen das Virus am besten war.

Vorher gibt es drei messbare Kriterien, die im Artikel leider nicht angesprochen werden
- Anzahl oder % immunisierte Menschen
- die Auslastung der Behandlungszentren und
- das Funktionieren von Infrastruktur und Wirtschaft. Nicht unbedingt der DAX, aber es ist schon relevant, ob genügend Ärzte und Krankenschwestern verfügbar sind und Reis und Nudeln in den Supermärkten stehen.

Für den schwedischen Ansatz spricht, dass dahinter ein Experte steht, der - anders als viele "Berater" hierzulande - seine Empfehlungen nicht nur auf akademischem Wissen, "gesundem Menschenverstand" und Computermodellen aufbaut, sondern auf seine eigene Erfahrung im Umgang mit Ebola.

Was übrigens die Frage aufwirft, ob das Wort "Experiment" nicht eher auf unseren Umgang mit Corona zutrifft als auf den schwedischen.

PS: Der Beitrag ist als akademische Betrachtung geschrieben. Meine persönliche Meinung ist, dass man sich auf einen Plan festlegt und den dann durchzieht. Daher unterstütze ich ausdrücklich das Vorgehen hier in Deutschland, bin aber durchaus neugierig, wie andere Ansätze funktionieren.

Meine einzige Kritik ist, dass wir zu wenig offen sind, und zu wenig bereit, von anderen zu lernen. Eine unvoreingenomme Analyse der Methoden in China und Italien hätte uns vieles ersparen können!

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