Was für ein oberflächlicher Artikel, der sich nahtlos in den Kampagnenjournalismus der Leitmedien integrieren lassen könnte, die abwechselnd als Steigbügelhalter und Förderer des politischen Islam fungieren, wo es gilt noch funktionierende säkulare Staaten ins Chaos zu stürzen und dann wieder zum Kampf gegen islamische Länder blasen und Muslime zur Karikatur verzerren.
Die Politisierung des Islams ist einerseits ein durch das saudisch-US-amerikanische Bündnis geschaffenenes Instrument, zunächst im Kampf gegen die Sowjetunion, danach gegen die säkularen Baath-Staaten Irak und Syrien, heute wieder Instrument gegen Russlands gestärkte Rolle im Nahen Osten.
Andererseits ist es ein Aufbegehren gegen eine Jahrhunderte währende Hegemonie des Westens, die auschließlich während der Zeit der Blockkonfrontation durch die Wahl zwischen zwei Polen einen Ansatz von Wahl implizierte.
Die Wiederentdeckung der Religion, oft nur symbolisch vollzogen, ist da ein widersprüchliches Phänomen, von dem die Bejahung einer hierarchischen sozialen Ordnung nur einen Aspekt darstellt, ein anderer aber gerade die Emanzipation. Gerade auch im Religiösen: Im Gegensatz zu dem, was die Autorin schreibt, gibt es eine starke Wiederentdeckung von Religion gerade durch Mädchen, die keineswegs mit Unterordnung unter Männer einhergeht - auch wo sie nicht politisch und nur sozial begründet wird. Dieses platte Bild hier ist nur ein Abziehbild eines viel komplexeren Vorgangs, der hier nicht im Ansatz analysiert wird.
Zudem ist die Auffassung verkürzt, es habe in islamischen Ländern eine "Islamisierung" stattgefunden. Fakt ist: Die urbanen Zentren fungierten westlich-säkular, ihre Eliten als untergeordnete Partner des westlichen Kolonialismus. Das wird heute abgelehnt.
Das Land, die Provinzen jedoch waren dörflich-traditionell. Die Eroberung der Städte durch die Kopftuchträger ist eben auch eine Emanzipation der das Urbane erobernden subalternen Provinz, die sich nicht mehr in die schweigende Rolle schickt.
Auch diesen Aspekt, der sozialen Emanzipation der Landbevölkerung kann dieser flache Artikel nicht beleuchten.
Und zuletzt liegt (ich kenne viele muslimische Mädchen auch hier, die etwa religiöse Mystik studieren) in der Wiederentdeckung des Islam auch die Wiederentdeckung eigener geistiger Traditionen.
Die eurozentristische Sicht, als sei der 'westliche Säkularismus' der einzige kluge Lebensstil und biete die einzige kluge Sichtweise an die Welt an, ist ein hegemonialer - und wenn er alle Spektren unserer Gesellschaft durchzieht, ist das auch eine bedrohliche ideoligische Verengung, die auf wenig Krtikfähigkeit in Deutschland verweist.
Ideologiekritik bedeutete mal, auch die Voraussetzung des eigenen Denkens und die eigenen Prämissen zu reflektieren. Diese Fähigkeit scheint in einem ehemals philosophisch umtriebigen Land gänzlich verloren zu sein.
Wer allerdings hinter jedem Hijab eine potenzielle Bombenlegerin oder ein geprügeltes Opfer sieht, kann sein Weltbild jeden Tag einzementieren, sich zwischen Mitleid und Paranoia bewegen, viel verstehen wird er oder sie nicht.