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  • Polkor

124 Beiträge seit 24.11.2009

Performativer Selbstwiderspruch

Wenn irgendjemand die These aufstellt, es gebe keine Willensfreiheit, geschieht das doch so gut wie immer mit einem Argument, das besagt, unsere Handlungen seien durchgängig, ungebrochen und ununterbrochen durch die Verkettung natürlicher Ursachen bestimmt. Diese Durchgängigkeit der Kausalkette, in die nichts "dazwischen passt", bei der nichts "daneben steht" und bei der auch nichts "quer" einwirken kann, um es bildlich auszudrücken, ist ja genau das, was die Unfreiheit ausmacht.
Nun hat diese Durchgängigkeit neben dem Verlust der Möglichkeit von Willensfreiheit jedoch noch andere Konsequenzen, so z.B. die, dass es keinen Grund geben kann, warum jemand überhaupt nur irgend einer These zustimmen oder sie ablehnen soll. Gesetzt den Fall ich stimme einer These zu, z.B. der der Unmöglichkeit von Willensfreiheit, wird es immer nur ein Naturprozess sein, der meine Sprechorgane dazu bringt, Druckschwankungen in der Luft zu produzieren, die wie eine These klingen. Es wird aber nicht die gute Argumentation des Proponenten sein, die mich zum Zustimmen bringt. Kein noch so beeindruckende Versuchsanordnung und -durchführung kann irgend eine argumentative Kraft entfalten, denn der Sprechakt meiner Zustimmung wird ja durch reine Naturprozesse verursacht, durch sonst nichts. Genauso gut könnte ich aber auch Laute produzieren, die gemeinhin als die Gegenthese gewertet werden. Kein sachlicher Grund kann angegebenen werden, die eine Äußerung als wahr und die andere als falsch zu bezeichnen, beide existieren bloß, mehr nicht.

Obendrein können die Erörterung des Versuchs und die Schlussfolgerungen daraus auch nicht durch wohlüberlegte Gründe erfolgt sein, sondern sind auch nur Resultat einer Kette verschiedener Naturursachen. Jeder Text, der eine solche Erörterung liefert, wurde schlicht durch Neuronenfeuern oder Teilchenbewegung aufs Papier gekleckert.

Sätze wie dieser aus dem Abstract von Chun Siong Soon und John-Dylan Haynes sind schlicht nicht konsistent mit der Annahme einer durchgängigen Naturkausalität.

"This delay presumably reflects the operation of a network of high-level control areas that begin to prepare an upcoming decision long before it enters awareness."

Das was diesen Satz niedergeschrieben hat, kann, sollte alles radikal naturkausal sein, durch keinen Grund zu einer Mutmaßung ("presumably") bewegt werden, sondern die Natur hat die Farbeindrücke "delay" mit "reflects the operation of a network of high-level control areas " nebeneinandergestellt, statt "delay" und "reflects the dream of a green elephant of inhibting everything by sitting with it's fat ass on it".

Kurzum, der Wissenschaftler, der mit einer Argumentationskette uns zu überzeugen versucht, nimmt durch die Argumentation etwas in Anspruch, nämlich durch gute Gründe zur Einsicht und Zustimmung bewegen zu können, von dem er aber behauptet, es gebe es gar nicht.

Was für ein absurdes Theater!

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (27.06.2021 02:37).

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