Vor rund zwanzig Jahren hatte ich da Vergnügen, mit einer Gruppe hochkarätiger Wissenschafter abends beim Bier zu sitzen. Es entspann sich eine lebhafte Diskussion über einen Kollegen: Der hatte einen Gastredner bei einem Vortrag gefragt, wie es sein könne, dass der Gastredner in seinen aktuellen Publikationen vehement eine Theorie und deren Gegenteil verteidigt.
Die Mehrheit fand es völlig inakzeptabel, einen Wissenschaftler mit einer Frage dermassen bloss zu stellen. Es sei doch bekannt, dass der Mann über 50 Mitarbeiter beschäftige, die weitgehend selbstständig ihre Ergebnisse publizieren. Natürlich im Namen des Chefs. Der habe gar nicht die Zeit und das Fachverständnis, um jeden Artikel korrektur zu lesen.
Die Vorstellung, dass man von einem renommierten Wissenschaftler verlangen könnte, sein Fachgebiet und seine Forschung so weit zu verstehen, dass er sich für die eine oder die andere Richtung entscheiden kann, bevor eine Publikation geschrieben wird, war fast allen Kollegen ziemlich fremd.
Und die Problematik, dass ja irgendwer die ganzen Rohdaten analysieren und verstehen muss, die der Experte in Welt herauspubliziert, stand gar nicht zur Diskussion.
Wobei man den Wissenschaftlern nicht mal einen Vorwurf machen kann, die Ergebnisse über ein Dutzend Artikel kommunzieren statt wie früher in einem Artikel: Wenn die Leistung an der Anzahl Publikationen bewertet wird. Und wenn eine zweiseitige Vorabkommunikation als "Publikation" zählt, deren Erscheinungsdatum als "Eingangsstempel" für die publizierte Idee gilt, der es Konkurrenten unmöglich macht, tiefergehende Fachartikel zum Thema als eigene Leistung anerkannt zu bekommen - dann bekommen genau die Publikationslandschaft, die wir jetzt haben.
Und daran wird sich solange nichts ändern, wie die Leistung von Wissenschaftlern an der Anzahl Publikationen und Zitate gemessen wird.