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15 Beiträge seit 25.12.2004

Na also, geht doch

goedel schrieb am 30. Dezember 2004 1:58

> Dogmatisch ist es zum Beispiel, wenn man bestreitet, dass der Markt
> Hungernöte auch bei Vorhandensein von Lebensmitteln zulässt, obwohl
> Amartya Sen dieses Thema ausgiebig erforscht hat und reale
> Fallbeispiele benennt. (Z.B. Hungersnot in Bangladesch von 1974.)

Ich hatte nie behauptet, dass es in einer marktlichen Gesellschaft
keinen
Hunger gäbe. Du solltest darauf achten, was ich tatsächlich schreibe.
Ich sagte, dass mir keine Beispiele bekannt sind. Was käme denn
heraus, wenn ich die staatlich induzierten Hungersnöte fein nach
statistischer Manier den Beispielen der marktinduzierten
gegenüberstellte? Im Markt kann auch eine Unterversorgung entstehen.
Aber er neigt im Prinzip nicht dazu. Wir diskutieren aber über
Prinzipien, nicht über Einzelfälle.

> Dogmatisch ist es ebenso zu behaupten, dass die Minimierung des
> öffentlichen Sektors per se mehr Wohlstand und weniger Armut brächte,
> obwohl es zahlreiche Gegenbeispiele von Chile bis Neuseeland gibt.

Ich sage nie, dass irgendetwas per se geschehe oder per se nicht
geschehe. Ich bin eben kein Dogmatiker. Meine Haltung zum Thema ist
ja auch eine ethische und keine utilitaristische. Ich lehne den
Utilitarismus aus diversen Gründen ab. Das sollte auch durchgeklungen
sein.

> (Und die öffentlichen Sektoren der westlichen Mischwirtschaften
> historisch gerade erst als Antwort auf die Probleme des
> Manchester-Kapitalismus entstanden sind.)

Man kann es auch anders sehen: Die heutigen Modelle sind auf Basis
der wirtschaftlichen Verfügungsmasse, die der Kapitalismus stark
gesteigert hatte, erst finanzierbar geworden und sind daher ein
Symptom von Wohlstand, nicht aber seine Ursache.

> Fragt sich nur, was ein Staat anderes ist als ein an ein Territorium
> gebundenes Kollektiv.

Ja genau, und dieses Territorium wird dann faktisch von den
Staatsinhabern besessen. Im Ostblock zum Beispiel vom Politbüro.

> In einem Kollektiv gibt es jedoch zwangsläufig Interessenskonflikte
> (der eine will einen Brunnen auf dem Dorfplatz anlegen, der andere
> einen Teich), bei denen Entscheidungen herbeigeführt werden müssen.

Natürlich, das ist einer meiner Punkte: Es gibt substantielle
Interessenskonflikte. Die demokratische Methode sichert der Mehrheit
das Verfügungsrecht zum Nulltarif. Das kann man aber nicht als Lösung
des substantiellen Konfliktes auf zivilisierter Grundlage ansehen. In
diesem Fall ist die Demokratie eine prozedurale Methode zur
Minimierung der Beherrschungkosten. Die eigentliche Gewaltanwendung
kann gespart werden und minimiert die Kosten, die der Überlegene zur
Durchsetzung aufbringen müsste.

> Für das Zustandekommen solcher Entscheidungen gibt es aber im
> wesentlichen nur zwei Möglichkeiten: Despotie oder Demokratie. (Und
> jetzt komme mir bitte nicht mit so einem realitätsfremden Humbug wie
> Bietverfahren oder ähnlichem anarcho-kapitalistischen Quatsch, der
> zum einen unpraktikabel ist und zum anderen nur darauf hinausläuft,
> dass wer das meiste geerbt hat, auch am meisten zu sagen hat.)

Substantielle Konflikte können beispielsweise in einer Gesellschaft
mit segmentärer Struktur durch Verhandlungen gelöst werden, in dem
die beiden opponierenden Parteien vor dem Hintergrund einer
Machtparität einen Kompromiss aushandeln, in dem die Kosten der
unterlegenen Partei nicht unberücksichtigt bleiben.

> "Kampf aller gegen alle" erwähnte ich als einzige realistische
> Alternative zur Staatenbildung. Ich begrüße es aber ausdrücklich,
> dass der Mensch als soziales Wesen die Staatenbildung offenbar dem
> "Kampf aller gegen alle" vorzieht.

Der Mensch kam über die Staatsbildung zur Entfaltung seiner größten
Zerstörungspotentiale. Das ist nun wirklich extrem gut dokumentiert.
Gerade heute, nach den beiden Weltkriegen (und den Dutzenden von
Staatskriegen danach). Der Staat bedeutet nicht per se Frieden,
sondern in der Tendenz eher Krieg. Siehst du, du denkst sehr
kategorisch, ich tue das nicht. Denk mal drüber nach.

> Zur friedlichen Sezession: Wenn Du ein Stück Land findest, das
> niemals von jemand anderem überquert werden muss und dass auch
> niemand außer Dir bewirtschaften möchte, wenn Du außerdem garantieren
> kannst, dass Du dieses Land nicht verlassen wirst und von dort keine
> externen Effekte auf das Umland stattfinden, wird Dich sicher niemand
> daran hindern, dort Deine eigene anarcho-kapitalistische
> Neolithikum-Gesellschaft auszurufen. Diese Möglichkeit zur
> friedlichen Sezession hast Du also tatsächlich.

Es gibt keine nicht-hoheitlichen Gebiete mehr in der Nähe. Europa ist
vollständig durch staatliche Ansprüche besetzt. Zöge ich in den Wald
und baute mir eine Hütte, dann käme wenig später das Bauamt. Ganz so
einfach ist es nicht.

> In allen anderen Fällen hast Du in einer Demokratie die Mehrheit der
> anderen gegen Dich und daher mit friedlichen Mitteln schlechte
> Karten.

Ich bin ja der Überzeugung, dass viele Menschen in der Lage sind,
gegenseitig ihre Rechte zu respektieren und daher die Möglichkeit
besteht, dass eine Gesellschaft auf Basis von Gewaltablehnung
entstehen kann. Aber weil ich kein Doktrinär bin, kann ich nur dafür
werben. Die Gewalt als Mittel ist für mich ausgeschlossen. Nur
Gegenwehr ist erlaubt.

> Sorry, aber mit gefährlichem Unverstand habe ich nun mal keine
> Geduld.

Das ist doch deine Einschätzunng.

> Also: Solange mir oder anderen Bürgern dieses unaufgeklärten
> Gewalt-Staates keine Nachteile durch Deine Steinzeit-Gesellschaft
> entstehen, wünsche ich Dir damit viel Erfolg!

Das ist doch schon prinzipiell nicht möglich, denn ich gestehe doch
jedem sein Eigentumsrecht zu und müsste aus der inneren Logik heraus
auch das sozialistische Paradies in meiner Nachbarschaft voll
respektieren. Ich spreche pro domo, aber nicht für andere. Auch will
ich dich nicht zu meinem Glück zwingen.

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