Danke für den sehr interessanten Link, das bringt mich schon zum Nachdenken. Aber ich bleibe dabei: bisher war immer der Schaden durch gewählte Antidemokraten. die man aus falsch verstandener Fairness ans Ruder gelassen hat, weitaus konkreter, größer und schwerer zu reparieren als der durch überzogenen Schutz der Demokratie durch die politische Mitte. Was da über das Ziel hinausgeht muss eben wieder abgeschafft werden - das ist ohne weiteres möglich, ohne dass ein bleibender Schaden entsteht.
Ich finde man kann die Gefahren von zu viel und zu wenig Schutz der Demokratie kaum vergleichen. Im einen Fall fühlt sich eine Minderheit (oder sogar eine knappe Mehrheit) schlecht behandelt und benachteiligt, was sie sowieso tut. Deshalb lehnt sie ja die Demokratie als verlogen ab und will sie durch irgendetwas ersetzen, wo der wahre "Volkswille" (also ihr eigener) der alleinige Maßstab ist. Aber die Demokratie überlebt und vielleicht hilft der Druck den gemäßigteren Kräften innerhalb der Dauerempörten sogar, sich gegen die wirklich gefährlichen Fanatiker durchzusetzen.
Im anderen Fall ist es mit der Demokratie vorbei, die Opposition wird als "Volksverräter" verboten und verschwindet in irgendwelchen Lagern, wenn sie sich anders nicht einschüchtern und zum Schweigen bringen lässt. In einem solchen System sind kaum noch Korrekturen möglich, während selbst die eingeschränkteste Demokratie diskutieren sich besser selbst korrigieren kann als in der liberalsten Autokratie. Dort ist, wenn sie nicht gleich verboten wird, die Opposition in jedem Falle wirkungslos. Beispiele dafür sind z.B. das Ende der McCarthy-Ära oder das Ende des Vietnamkrieges in den USA.
Deshalb bin ich auch gegen Referenden, die Zukunftsfragen wie z.B. den Brexit betreffen. Heute sieht eine deutliche Mehrheit im UK den Brexit als Fehler (57:33, bei 10% Unentschlossenen), aber diese Mehrheit hat keine Wirkung. Solche "Ewigkeitsentscheidungen" untergraben den Grundsatz, dass in einer Demokratie Mandate immer nur für begrenzte Zeit vergeben werden.
Nochmal: die Demokratie darf die Macht nicht an ihre Feinde übergeben, selbst wenn die die Mehrheit haben. Deshalb gibt es in unserem Grundgesetz ein verbrieftes, individuelles Recht zum Widerstand gegen solche Bestrebungen. Mehrheiten können sich wieder ändern, aber nur so lange wie die demokratischen Institutionen intakt bleiben. Keine Toleranz gegenüber den Intoleranten.