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739 Beiträge seit 15.07.2016

Die formale parlamentarische Demokratie ist durch und durch kompromittiert; sie

"Die formale parlamentarische Demokratie ist durch und durch kompromittiert; sie ist
unfähig, die Gesellschaft zu reformieren und legt eine ungeheure
Trägheit an den Tag."

"Oft habe ich über die Krise des Humanismus geschrieben und zu zeigen versucht, dass der Humanismus sich unvermeidlicherweise in einen Anti-Humanismus verwandeln muss und dass seine letzte Konsequenz die Leugnung des Menschen ist. Der Humanismus in jener alten Form, die den Menschen als Mittelpunkt der Welt
und des Lebens erklärte, ist ohnmächtig geworden und muss überwunden werden. Der Humanismus, der mit der Wiedergeburt der Antike verbunden ist, ist zerbrechlich und zart; seine Blüte setzt eine aristokratische Struktur der Gesellschaft voraus; die
Herrschaft der Demokratie, der Einbruch der Masse in die Kultur und die Macht der Technik versetzen ihm unheilbare Wunden. Der Mensch, der darauf verzichtet hat, Gestalt und Ebenbild Gottes zu sein, verwandelt sich in unserer Zeit in die Gestalt und
in das Ebenbild der Maschine und die Maschine entmenschlicht das menschliche Leben."

"Allein, wenn die Demokratie ein ewiges Prinzip in sich trägt, so ist dieses Prinzip selbstverständlich nicht mit der Idee der Vorherrschaft der Nation verknüpft, sondern mit der Idee der subjektiven Rechte, der menschlichen Persönlichkeit, mit der Freiheit des geistigen Lebens, des Gewissens, des Denkens und des Schaffens. Diese Idee der unveräusserlichen subjektiven Rechte der menschlichen Persönlichkeit hat ihren
Ursprung nicht bei Rousseau, nicht bei den Jakobinern und bei der französischen Revolution, sondern im Christentum und in den Strömungen, die mit der Reformation verbunden sind. Die Idee der Menschenrechte wurde entstellt und verfälscht in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft des XIX. und XX. Jahrhunderts, die aus der französischen Revolution hervorgegangen ist, sowie in der formalen bürgerlichen Demokratie. Ihre Ursache aber hat diese Entstellung in den Grundlagen der bürgerlichen Weltanschauung."

"Die Weltanschauung des soziologischen Positivismus, der die Gesellschaft als höchste Realität und als Quelle des gesamten menschlichen Lebens verkündet, kann in Wahrheit die Freiheit nicht begründen. Die europäischen Demokratien beruhen aber gerade auf diesem soziologischen Positivismus, der bei Dürkheim die Form einer
ausgesprochenen soziologischen Religion annimmt. Die Verkündung der Menschenrechte hat zu ihrem Inhalt die Rechte des Menschen als eines Bürgers und als eines Gliedes des Staates und der Gesellschaft gehabt, nicht aber die Rechte des
Menschen als eines ganzheitlichen Wesens und als eines freien Geistes. Der Mensch aber, der sich im Wesen als Bürger begriff, hat sowohl den Menschen als ein freies geistiges Wesen, das einer anderen Seinsordnung angehört, als auch den Menschen als ein arbeitendes und Werte schaffendes Wesen unterdrückt und verdrängt."

"In der Freiheit der liberal-demokratischen Staaten entwickeln sich Gewinnsucht, Mammonismus, Unehrlichkeit und Bestechlichkeit."

"Die falschen Verteidiger der Freiheit, wie wir sie in der kapitalistischen Welt vorfinden, und die Bekämpfer der Freiheit, die zugleich auch den Geist zu erdrücken und bezwingen suchen, - sie alle streben darnach, den Menschen auf das eindimensionale
Dasein zurückzuführen. Diese organisierte Eindimensionalität, in der der Geist durch die Materie besiegt wird und die den Menschen in eine sozialisierte Seinsordnung versetzt, hat indessen nicht mit dem Faschismus oder mit dem modernen Kommunismus begonnen. Beispiele dieser Lebensordnung finden wir in verschiedenen Epochen der Geschichte der Menschheit. Diese Eindimensionalität herrschte
in allen alten theokratischen Systemen, die die relativen sozialen Formen, das historisch Vergängliche, als Theophanie, als ewig gültige Ausdrucksformen der göttlichen Weltordnung aufgefasst haben und sie darum verewigen wollten. Als historische Tatsache wird das allgemein anerkannt. Selten aber sieht man ein, dass eine ähnliche Eindimensionalität, die zur geistigen Tyrannei und zur Unterdrückung des Geistes führt, zum Wesen der demokratischen Ideologien gehört und in einer gleichsam maskierten und verhüllten Form bei J. J. Rousseau.und im Jakobinertum vorhanden ist. Die Demokratie der Jakobiner kennt keine Grenzen, die die Freiheit
der menschlichen Persönlichkeit und die Unabhängigkeit des Geistes schützen könnten. Rousseau selbst hat keine Gewissensfreiheit anerkannt; er war Vorkämpfer einer obligatorischen staatlichen Religion und hat in vollem Ernst den Vorschlag gemacht, alle Christen aus der vollkommenen Republik zu entfernen. Es war eine neue
Form desselben Prinzips, das in der Utopie Platos zum Ausdruck gekommen war und die mittelalterliche Theokratie bestimmt hatte. Die jakobinische Demokratie unternimmt die Organisierung des geistigen Lebens mit denselben Mitteln, mit denen nur die Materie organisiert werden kann."

"Der Prozess der Egalisierung oder Gleichschaltung der Menschen kann sich in zwei entgegengesetzten Richtungen vollziehen. Entweder werden die Würde, der Wert und die Freiheit eines jeden Menschen verkündet, weil in jedem menschlichen Wesen die Gestalt und das Ebenbild Gottes leben; oder aber es werden Würde, Wert
und Freiheit bei allen Menschen geleugnet, weil die Gestalt und das Ebenbild Gottes im Menschen geleugnet wird. Man kann die "Privilegien des Adels" allen Menschen verleihen, alle Menschen in den "Stand des Adels" emporheben, dem die menschliche Würde als erstem Stand zuerkannt wurde; man kann aber auch alle Menschen der Würde des Adels berauben und alle Menschen in proletarisierte Sklaven verwandeln. Mit anderen Worten, die Egalisierung der Menschen kann entweder als eine Aristokratisierung der menschlichen Gesellschaft oder aber als deren allgemeine
Demokratisierung aufgefasst werden, als eine universelle Nivellierung und überhaupt als eine Herabsetzung der menschlichen Qualität. In unserer Zeit vollzieht sich der vereinheitlichende Prozess in der zweiten Richtung. Darum ist das soziale Problem
vor allem eine Frage nach dem Menschen. Das anthropologische Problem ist tiefer als das soziologische und geht diesem voran."

"Der Faschismus wird im allgemeinen der Demokratie gegenübergestellt; auch glaubt man noch immer, mit Hilfe der demokratischen Prinzipien den Faschismus bekämpfen zu können. Das ist ein oberflächlichlicher Standpunkt. Man darf die Demokratie
nicht als eine starre sozialpolitische Form auffassen; man muss vielmehr ihre Dynamik zu verstehen suchen. Der Faschismus ist eines der letzten Ergebnisse der Demokratie, die Enthüllung ihrer Dialektik. Er stellt sich der liberalen, nicht aber jeder Demokratie
entgegen."

Aus Nikolai Berdjajew, DAS SCHICKSAL DES MENSCHEN IN UNSERER ZEIT, 1935
VITA NOVA VERLAG LUZERN

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