Ansicht umschalten
Avatar von tzefix
  • tzefix

mehr als 1000 Beiträge seit 12.05.2010

Re: doppelte Verneinung

Stephan Geue schrieb am 01.01.2024 10:45:

Ich bin noch immer der Meinung, dass in einigen Jahren dieses System an sich selbst zerbrechen wird.

Das war die anfängliche Aussage. Ich habe gefragt, ob es einen Plan B gibt, falls das nicht eintritt, also falls das System nicht in den nächsten Jahren an sich selbst zerbricht, anders formuliert: dass es noch eine ganze Weile einigermaßen stabil weiter existiert.

Und du stellst das mit der folgenden Frage in Abrede:

Du willst einen Plan für etwas das NICHT passiert?

Habe ich das so korrekt verstanden, oder gibt es da ein Missverständnis?

Nein. Du willst einen "Plan B" und meine damit implizierte Frage lautete "wofür"?

Wenn du das so gemeint hast, war das dann Kapitalismuskritik? Denn das kapitalistische System ist inhärent instabil, also nicht der Kapitalismus an sich, sondern jegliche Ökonomie, die auf kapitalistischen Prinzipien aufbaut (Wachstum ohne Grenzen).

Ja, aber nicht explizit. Dass kapitalistische Wirtschaftssysteme dauerhaft Krisenanfällig sind und sich in der Tat auch von Krise zu Krise hangeln ist ja bekannt. Auch russische Wirtschaft sieht sich besonderen Herausforderungen gegenüber und ich denke nicht, dass es für die Menschen im Land besser wird. Also ja, ich erwarte auch aus wirtschaftlichen Gründen ein politisches Beben.

Kapitalismuskritik verbinde ich damit nicht direkt.

Ich denke, dass Russland aus mehreren Gründen zerbrechen wird. Die Wirtschaft, bzw. der Kapitalismus ist nur ein Grund, vielleicht aber der Wichtigste.

Dann hast du natürlich Recht. Die Frage ist allerdings, wer in Russland (und in China, namentlich interessant wäre es selbstverständlich auch in den USA) in diesem Falle die Puppenspieler sind. Ich meine, Kapitalismus ist ja nicht einfach nur ein ständiges Anwachsen der ökonomischen Gegensätze zwischen Arm und Reich, sondern ein mehr oder weniger kreatives Hantieren der jeweils Reichen mit ihren riesigen Vermögen (ich rede dabei nicht von Millionären, sondern von Leuten, die über wenigstens elfstellige Dollar-Vermögen gebieten, also so die Liga Peter Thiel et al., oder sogar sogar zwölfstellig wie Bill Gates, aber für interessanter halte ich die weniger bekannten Namen) hinter der Fassade einer Demokratie (oder auch ohne eine solche, wie in China).

Aber diese Instabilitäten zeichnen sich ab, wenn es brenzlig wird; die fallen nicht vom Himmel. In der Regel geht den Umbrüchen eine großflächige Verarmung voraus. Das war so in der Sowjetunion ab dem Tode Breshnews bis zum Auftritt Putins (auch wenn das System bis Ende der 80er Jahre kein kapitalistisches war, aber pleite gehen kann natürlich jeder, wenn man's nur blöd genug anstellt oder ökonomisch - Erdölexport in den Westen - vom Gegner beeinflusst werden kann), und das ist seit mindestens 2007 so in den USA (seit der Subprime-Krise erodiert die Mittelschicht massiv, was nichts anderes als eine Verarmung ist). In China sehe ich das momentan nicht, auch wenn dort das Damoklesschwert der de-facto-Pleite von Evergrande über den Ersparnissen von vielen Millionen hängt. Und ein solches Szenario sehe ich in Russland nicht, überhaupt nicht. Die haben zwar eine relativ hohe Inflation - die Zahlen sind da je nach Quelle recht unterschiedlich -, aber trotz inzwischen ziemlich hoher Leitzinssätze ist die Wirtschaft weit davon entfernt, davon stranguliert zu werden. (Ich bin auch keineswegs sicher, dass die hohen Zinssätze ein geeignetes Instrumentarium sind; sie wirken auf mich ähnlich unangebracht wie die der EZB, auch wenn die im Euro-Raum deutlich niedriger sind; man versucht, eine importierte Teuerung mit denjenigen Mitteln zu bekämpfen, die eher gegen infolge überschäumender Binnenwirtschaft gestiegene Preise gerichtet/geeignet sind. Es ist nun mal so, dass ein Handel über Bande, also die Umgehung von Sanktionen über Drittländer, teurer ist als ein direkter Handel - oder hierzulande der Import von LNG gegenüber Pipeline-Gas.) Das lässt sich an der Entwicklung des kaufkraftbereinigten BIP ablesen; im zurückliegenden Jahr wurde Deutschland überholt (das freilich auch deutlich weniger Einwohner als Russland hat), was allerdings auch daran liegt, dass man hierzulande den Rückwärtsgang eingelegt hat, aber wir sind ja auch "at war with Russia".

Die heute unanständig reichen Russen hatten unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die Möglichkeit und genügend kriminelle Energie, sich ganze Wirtschaftsteile anzueignen. Heute werden sie von Putin geduldet, solange sie das tun, was er will. Zu Putins Willen gegenüber der Oligarchen kann auch gehören, dass sie ihre Gelder in seinem Sinne einsetzen müssen. Falls sie also "kreativ handeln", dann eher auf Anweisung.

Dass bei uns dieser Krieg und und unsere wirtschaftliche Auseinandersetzung mit Russland natürlich Folgen hat, das sollte klar sein. Die Preissteigerungen waren zu erwarten - und deshalb bin ich mir nicht ganz sicher, ob diese ganz Absichtlich über den Einstieg in diese Auseinandersetzung geplant in Kauf genommen wurden. Klingt ein bisschen nach Verschwörungstheorie und ich bin mir nicht sicher, ob die jeweiligen Entscheider einen so tiefen Einblick hatten. Aber für möglich halte ich es dennoch. Schließlich hatte man zuvor jahrelang gejammert, dass die Inflation zu niedrig wäre. Wobei diese niedrige Inflation durchaus den Bürgern zugute gekommen war. Wahrscheinlich nur den Falschen.

Bewerten
- +
Ansicht umschalten