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  • DreamTimer

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Re: Funktionalisierung der Gesellschaft

luky schrieb am 2. Februar 2010 22:09

> DreamTimer schrieb am 2. Februar 2010 12:36

> > Erfreulich, dass man selbst auf einem Krawall-Medium wie TP
> > gelegentlich Leute trifft, die eigenständig denken.

> Da schliesse ich mich an.

> > […] Industrienorm. Das kann man bis zur Absurdität und den 
> > […] Wirtschaftsgeschichte aus dem Blickwinkel von Normen und Codes

> Das ist wirklich eine interessante Idee. Insbesondere weil die Normen
> nicht nur eingesetzt wurden, um in einem Wirtschaftsraum gemeinsame
> Vorgaben zu schaffen, sondern auch um sich abzugrenzen.

> Historisch gesehen ist der "Siegeszug" von Normen imo eng verknüpft
> mit der zunehmenden Funktionalisierung der Gesellschaft, also dass
> Fachgruppen(Ärzte, Informatiker usw.) selber über ihre Standards
> entscheiden können, anstatt sie von oben herab erlassen zu bekommen.

Das ist etwas, dass der Moderne eigentlich vorausging. Gilden und
Zünfte waren autonom und sie ließen so etwas wie freie Märkte gar
nicht zu. In Frankreich kam es aufgrund von Landflucht im 18-ten
Jahrhundert zu erheblichen Konflikten mit sogenannten illegalen
Produzenten, die nicht selten auf Galeeren landeten, weil sie die
Ordnung der Stände unterwanderten. Ein Ergebnis der bürgerlichen
Revolution war nicht nur die Abschaffung von Adelsprivilegien,
sondern auch die Entmachtung der Gilden und Zünfte, die dem freien
Bürger nicht mehr zeitgemäße wirtschaftliche Restriktionen
auferlegten. Das ist auch heute noch unsere Grundverfassung. 

Ungeachtet dessen haben sich gewisse vormoderne Strukturen erhalten,
z.B. Ausbildungsnormen. Dass ein Handwerker seinen Meister machen
muss, um einen Betrieb zu führen, ist eigentlich eine
mittelalterliche Idee. Im Grunde folgt jede Art von formaler Prüfung
oder Abschluss, einem gesellschaftlichen Code. Insofern ist es
richtig, dass diese auch der funktionalen Abgrenzung dienen. Es ist
übrigens interessant, dass diese immer auch durchbrochen wurde. Der
Künstler, wie auch der Philosoph, der letztlich keiner Norm
unterworfen ist, wird in keiner anderen Epoche so verehrt, wie in der
Frühmoderne. Joseph Beuys und Andy Warhol hatten ihn schließlich
demokratisiert und das Genie zum Ideal für jedermann erklärt. Das
war, denke ich, eine ehrenwerte Überforderung.

DT

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