> > Allein die Tatsache, daß wir nicht einen großen Bruder haben,
> > sondern quasi viele kleine, ist ein nicht zu unterschätzender
> > Unterschied.
>
> Diese arbeiten aber alle zusammen, wenn auch nicht bewusst.
> Ich sehe es eher so, dass Wirtschaft, Kapital und Politik immer mehr
> verschmelzen. Das lässt sich in den USA, wo schon ein McNamara
> zwischen dem Chefsessel bei Ford, dem Verteidigungsministerium und
> dem Vorstandsposten der Weltbank wechselte, noch stärker beobachten
> als hier. Auch bei uns sind die Grenzen mittlerweile fließend
> geworden.
Zum einen ist es äußerst problematisch, davon zu sprechen, daß
irgendwer "unbewußt" zusammen arbeitet. Zum anderen stehen Firmen in
Konkurrenz zueinander - selbst die Tochterfirmen innerhalb eines
Konzerns. Klar, sie haben alle ein Ziel: Geld verdienen, aber das
schon als Zusammenarbeit abzutun, halte ich für problematisch. Bei
einer Fußballweltmeisterschaft wollen auch alle Mannschaften
gewinnen, aber deswegen käme wohl kaum einer auf den Gedanken zu
sagen, sie ziehen an einem Strang. Und wenn Firmen "zusammen"
arbeiten, tun sie das nur, um ihre jeweils eigenen Ziele zu
erreichen.
Nun zum Wechselspiel von Politik und Wirtschaft. Sicherlich gibt es
Personen, die in beiden Bereichen eine gewisse Relevanz haben. Jedoch
Politik und Wirtschaft aufs Ganze gesehen, haben einen strukturell
schwerwiegenden Unterschied: für die Politik ist Geld ein Mittel, um
Macht zu erreichen, während es für die Wirtschaft andersherum ist.
Ein Politiker im Aufsichtstrat einer großen Firma wird dort also kaum
eine Entscheidung damit begründen können, daß sie politisch gewünscht
ist (es sei denn, die Firma hätte dadurch geldwerte Vorteile).
Andersherum muß ein Wirtschaftsmagnat in der Politik sagen, warum
sein Konzept für die Wirtschaftspolitik volkswirtschaftlich Sinn
macht, nicht betriebswirtschaftlich (was offensichtlich gerade ein
wenig außer Sicht gerät). Für eine weitergehende Lektüre, die diesen
Unterschied sehr deutlich herausarbeitet, siehe Niklas Luhmann:
Soziale Systeme.
> Und schließlich geht der Überwachungswahn doch nicht nur von der
> Wirtschaft aus. Stichworte: Patriot Act, Schily, Beckstein,
> Vorratsspeicherung der Telekommunikationsdaten, biometrische
> Personaldokumente.
Dieser Überwachungswahn der Politik ist durchaus vorhanden. Aber die
Frage daran ist doch, was kann die Politik damit tun? Orwells Roman
geht von drei Staatenblöcken mit je einer Partei aus, die in der Lage
ist, ALLES in ihrem jeweiligen Staatsgebiet zu kontrollieren. Aber
was wir gerade beobachten können, ist doch, daß die Politik immer
mehr an Relevanz verliert. Die Politik hat nicht (mehr) die
Steuerungsgewalt, die ihr die klassische Staatstheorie zuschreibt.
Stattdessen sind andere Systeme mittlerweile um einiges relevanter
für die Zielbestimmung des Einzelnen. Und eine unipolare Steuerung
der Gesellschaft findet sowieso nicht mehr statt.
> - der ewige Krieg
> - der selbstproduzierte Feind
> - die beliebige Manipulation der (auch jüngsten) Geschichte dank
> eines immer kürzer werdenden Gedächtnisses der Bevölkerung (Gore
> Vidal prägte den Begriff der "United States of Amnesia")
Orwells 1984 ist aus der Angst vor und der Ablehnung gegen den
Kommunismus entstanden (der Mann hat übrigens in der McCarthy Ära als
Spitzel gearbeitet und eine Liste mit potentiellen Kommunisten in
England für den Geheimdienst erstellt). Der Staat, der seiner Vision
am nächsten kommt, ist China. Und selbst da findet gerade, bedingt
durch marktwirtschaftliche Entwicklungen, so etwas wie eine
Liberalisierung der Lebensverhältnisse statt. Die Politik ist eben
auch da nicht in der Lage, gegenzusteuern.
Wenn man aber den Namen Orwell (oder auch andere) gebraucht, kann man
sich nicht einzelne Aspekte rauspicken und die Kernthesen negieren,
weil sie gerade nicht passen. Das wäre genauso, als würde ich sagen
"das ist ja wie ein kleiner Jesus", wenn ich einem Kind zuschaue, das
Kreise in den Sand malt. Dabei würde ich eine Menge Aspekte unter den
Tisch fallen lassen, die einfach wichtig wären, um das Prädikat
"Jesus" zu rechtfertigen.
Gruß,
warpax
> > sondern quasi viele kleine, ist ein nicht zu unterschätzender
> > Unterschied.
>
> Diese arbeiten aber alle zusammen, wenn auch nicht bewusst.
> Ich sehe es eher so, dass Wirtschaft, Kapital und Politik immer mehr
> verschmelzen. Das lässt sich in den USA, wo schon ein McNamara
> zwischen dem Chefsessel bei Ford, dem Verteidigungsministerium und
> dem Vorstandsposten der Weltbank wechselte, noch stärker beobachten
> als hier. Auch bei uns sind die Grenzen mittlerweile fließend
> geworden.
Zum einen ist es äußerst problematisch, davon zu sprechen, daß
irgendwer "unbewußt" zusammen arbeitet. Zum anderen stehen Firmen in
Konkurrenz zueinander - selbst die Tochterfirmen innerhalb eines
Konzerns. Klar, sie haben alle ein Ziel: Geld verdienen, aber das
schon als Zusammenarbeit abzutun, halte ich für problematisch. Bei
einer Fußballweltmeisterschaft wollen auch alle Mannschaften
gewinnen, aber deswegen käme wohl kaum einer auf den Gedanken zu
sagen, sie ziehen an einem Strang. Und wenn Firmen "zusammen"
arbeiten, tun sie das nur, um ihre jeweils eigenen Ziele zu
erreichen.
Nun zum Wechselspiel von Politik und Wirtschaft. Sicherlich gibt es
Personen, die in beiden Bereichen eine gewisse Relevanz haben. Jedoch
Politik und Wirtschaft aufs Ganze gesehen, haben einen strukturell
schwerwiegenden Unterschied: für die Politik ist Geld ein Mittel, um
Macht zu erreichen, während es für die Wirtschaft andersherum ist.
Ein Politiker im Aufsichtstrat einer großen Firma wird dort also kaum
eine Entscheidung damit begründen können, daß sie politisch gewünscht
ist (es sei denn, die Firma hätte dadurch geldwerte Vorteile).
Andersherum muß ein Wirtschaftsmagnat in der Politik sagen, warum
sein Konzept für die Wirtschaftspolitik volkswirtschaftlich Sinn
macht, nicht betriebswirtschaftlich (was offensichtlich gerade ein
wenig außer Sicht gerät). Für eine weitergehende Lektüre, die diesen
Unterschied sehr deutlich herausarbeitet, siehe Niklas Luhmann:
Soziale Systeme.
> Und schließlich geht der Überwachungswahn doch nicht nur von der
> Wirtschaft aus. Stichworte: Patriot Act, Schily, Beckstein,
> Vorratsspeicherung der Telekommunikationsdaten, biometrische
> Personaldokumente.
Dieser Überwachungswahn der Politik ist durchaus vorhanden. Aber die
Frage daran ist doch, was kann die Politik damit tun? Orwells Roman
geht von drei Staatenblöcken mit je einer Partei aus, die in der Lage
ist, ALLES in ihrem jeweiligen Staatsgebiet zu kontrollieren. Aber
was wir gerade beobachten können, ist doch, daß die Politik immer
mehr an Relevanz verliert. Die Politik hat nicht (mehr) die
Steuerungsgewalt, die ihr die klassische Staatstheorie zuschreibt.
Stattdessen sind andere Systeme mittlerweile um einiges relevanter
für die Zielbestimmung des Einzelnen. Und eine unipolare Steuerung
der Gesellschaft findet sowieso nicht mehr statt.
> - der ewige Krieg
> - der selbstproduzierte Feind
> - die beliebige Manipulation der (auch jüngsten) Geschichte dank
> eines immer kürzer werdenden Gedächtnisses der Bevölkerung (Gore
> Vidal prägte den Begriff der "United States of Amnesia")
Orwells 1984 ist aus der Angst vor und der Ablehnung gegen den
Kommunismus entstanden (der Mann hat übrigens in der McCarthy Ära als
Spitzel gearbeitet und eine Liste mit potentiellen Kommunisten in
England für den Geheimdienst erstellt). Der Staat, der seiner Vision
am nächsten kommt, ist China. Und selbst da findet gerade, bedingt
durch marktwirtschaftliche Entwicklungen, so etwas wie eine
Liberalisierung der Lebensverhältnisse statt. Die Politik ist eben
auch da nicht in der Lage, gegenzusteuern.
Wenn man aber den Namen Orwell (oder auch andere) gebraucht, kann man
sich nicht einzelne Aspekte rauspicken und die Kernthesen negieren,
weil sie gerade nicht passen. Das wäre genauso, als würde ich sagen
"das ist ja wie ein kleiner Jesus", wenn ich einem Kind zuschaue, das
Kreise in den Sand malt. Dabei würde ich eine Menge Aspekte unter den
Tisch fallen lassen, die einfach wichtig wären, um das Prädikat
"Jesus" zu rechtfertigen.
Gruß,
warpax