Wolfgang Schira schrieb am 09.11.2018 00:09:
Sie haben recht. Wenn solche Kampfstoffe nicht innerhalb von Sekunden oder Minuten wirken würden, wären sie auch keine Kampfstoffe sondern ein Witz. Und wenn sie wirken sind sie tödlich. Ein feindlicher Soldat soll ja nicht nach Kontamination stundenlang herumlaufen und ev. noch schiessen können. Dass sich solche Fakten niemand von der Qualitätspresse und den glorreichen wertewestlichen Regierungen niemand durch den Kopf gehen lässt, ist schon erstaunlich.
Es geht hier meines Erachtens vor allem um die sogenannte Deutungshoheit und der damit in engem Zusammenhang stehenden Bereitschaft, Eigenverantwortlichkeit, eigene Urteilsfähigkeit an sogenannte Autoritäten abzugeben. Was mich betrifft, benötige ich keine Autoritäten, die mir zustimmen, mich bestätigen oder im Zweifelsfall auch korrigieren und mir sagen, wo's lang geht, was dieser und jener Begriff zu bedeuten haben, d.h. wie ich ihn zu deuten habe. Ich lese sehr viele Sachbücher nicht nur über aktuelle, auch über vergangene politische und gesellschaftlicher Ereignisse. Mein Basiswissen fußt auf Klassikern wie Max Weber, Emanuel Kant, David Hume und wie sie alle heißen, aber auch auf antiken Autoren wie Aristoteles, Platon usw. Ich lese quasi seit ich lesen kann, mit acht oder 10 habe ich die komplette Ilias gelesen, die griechischen Heldensagen, ohne wirkich zu begreifen, was ich da las, aber die Strukturen und die Worte nebst ihren überlieferten Bedeutungen haben sich mir eingeprägt, und die oft verzerrten Bedeutungen, die mir Eltern und Lehrer zu vermitteln suchten, kamen gegen diese überwältigende Konkurrenz nicht an. Ab einem gewissen Alter wußte ich dann irgendwie, daß ich mein ganz eigenes Bedeutungssystem entwickle, eigenmächtig, eigensinnig, aber immer auf Basis der überlieferten Semantik. Natürlich mußte ich auch schon in der Schule darauf achten, wie Lehrer – aufgezwungene Autoritäten, von wenigen Ausnahmen abgesehen kalte Denker – etwas verstanden haben wollten, um nicht ständig schlechte Noten zu erhalten oder wie meine Schulkameraden, besonders die in der Realschule und später in er Berufsschule "drauf" waren, wie sie Begriffe verwendeten. Damals getraute ich mich noch nicht wirklich, Leuten vorzuhalten, daß sie Begriffe falsch verwendeten oder scheinbar gar nicht wußten, was ein Begriff wirklich bedeutete, weil sie ihn einfach nur nachzuplappern schienen. Als ich einmal in der Berufsschule im Deutsch-Unterricht eine Geschichte von Goethe ganz anders auslegte, als die Lehrerin das vorgab, gab es Streit und ich wurde hinausgeschickt.
Worauf ich damit hinauswill: Den meisten heute lebenden Menschen wurde nicht gestattet, ein autonomes Selbst zu entwickeln. Stattdessen mußten sie eine Ersatzpersönlichkeit konstruieren, die sich weitgehend an die Forderungen der Eltern und der Lehrer richtete. Mit anderen Worten: Kaum jemand ist heute noch in der Lage, selbständig, eigenständig, eigensinnig zu denken und zu handeln. Man glaubt Wikipedia, weil man gar nichts anderes kennt. Man glaubt den verzerrenden Darstellungen der Mainstream-Medien, weil die keine Konkurrenz haben. Wenn Darstellungen, die Ihnen in den Kopf geraten, keine Konkurrenz haben, vielleicht weil Sie noch nie von dieser neuen Sache gehört haben, neigen Sie dazu, dieser neuen Sache erstmal ein gewisses Maß an Wahrheitsgehalt zuzubilligen, wenn die Darstellung nicht allzu unplausibel klingt und sich mit Ihren vorangegangenen Erfahrungen einigermaßen in Einklang bringen läßt. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Wenn Sie danach eine abweichende oder widersprüchliche Darstellung aus einer anderen Quelle antizipieren, entsteht das, was man kognitive Dissonanz nennt. Haben Sie sich zuvor mit der ersten Darstellung gewissermaßen angefreundet und die Sache in Ihr eigenes System integriert, stößt die zweite Darstellung womöglich auf Ihren inneren Widerstand, weil sie ja, um der zweiten Darstellung Existenzraum zu gewähren, vieles aus ihrem eigenen System infrage stellen müßten. Das ist unbequem, das hält auf, das kann sogar schmerzhaft sein, weshalb es von vielen kategorisch abgelehnt, vermieden wird. Die daraus folgenden »Argumente« folgen dann oft nicht mehr der Sache, sondern stellen Rechtfertigungen dar, die nur scheinbar rational sind, in Wirklichkeit jedoch aus Abwehrreaktionen bestehen. Ich merke das hier sehr häufig, wenn auf meine Argumente mit keinem Wort eingegangen wird, stattdessen immer wieder ein neues Faß aufgemacht wird, und wenn das nicht fruchtet, ad pesonam gewütet wird. Dieser Unsitte, vom eigentlichen Thema abzulenken, liegt ungefähr folgender Gedankengang zugrunde: »Okay, gegen diese bösartigen und hinterhältigen Argumente meines Diskussionsgegners kann ich nichts ausrichten, also versuche ich's mal von einer anderen Seite.« Die Tatsache, daß der jeweilige Gegner gegen vorgebrachte Argumente keinen Einwand kennt, bringt ihn nicht zu dem Schluß, der andere könnte vielleicht recht haben, sondern läßt ich sogleich vermuten, man wolle ihn reinlegen, denn schließlich habe er mit seiner Auffassung die einzig wahre Erkenntnis, und nur weil er nicht so belesen sei, dürfe er sich nicht unterkriegen lassen. Es geht allermeist nicht um die Sache, sondern ums Rechthaben, wie schon Schopenhauer in seinen beiden Büchlein, die ich bereits des öfteren angeführt habe, detailliert dargelegt hat.
irwish.de/pdf/Schopenhauer-Kunst_Recht_zu_behalten.pdf
irwish.de/pdf/Schopenhauer-Kunst_zu_beleidigen.pdf
Dadurch also, daß der gewöhnliche »Bildungsbürger« wie auch der gewöhnliche Halb- und Ungebildete nicht mit beiden Beinen fest auf überlieferten Begriffsdeutungen stehen, kann man sie leicht manipulieren. Ich hab selbstverständlich keinen blassen Schimmer davon, wie viele Menschen heute noch auf der Basis von Klassikern definieren, wie viele Menschen überhaupt etwas von Etymologie wissen, aber ich bin doch ziemlich sicher, daß die meisten Menschen heute kaum sowas wie eine Ahnung davon haben, wie sehr sie mit Worten manipuliert werden, von Bildern, insbesondere den bewegten in den TV-Medien, ganz zu schweigen. Alleine dieser Umstand macht es aus meiner Sicht und meiner Erfahrung mit meinen lieben und netten Mitforenten äußerst schwierig, überhaupt noch konkrete Sachverhalte und Zusammenhänge zu vermitteln. Viele scheinen in unbändige Wut zu geraten, wenn sie meine Texte lesen, andere stellen Fragen, die sich mir nicht mal ansatzweise aus dem von mir dargestellten Zusammenhang erschließen, wieder andere interpretieren meine Texte so wie die eben erwähnten Fragesteller, mangels Textverständnis einfach falsch. Es wird projiziert und vorgeworfen und unterstellt, was nur geht. Mit einem Wort: Wenn das hier im Forum ein Querschnitt der Gesellschaft ist, dann gute Nacht. Ich fürchte aber, es ist in Wirklichkeit noch viel schlimmer, als es sich hier im Forum darstellt, weil die meisten Menschen ja nicht einmal die Zeit und die Geduld haben, in einem doch eher aufgeschlossenen Forum wie diesem hier ihre Meinung darzulegen, von der allgemein verbreiteten Schwäche, die eigenen Ansichten kaum verständlich formulieren zu können, mal ganz abgesehen. Ich denke, die meisten plappern einfach nur den Mainstream nach, und daher ist es keinesweg verwunderlich, wenn die Argumentationslinien der Mainstream-Journalisten immer dünner und durchschaubarer werden – durchschaubarer für Leute wie Sie und mich, aber nicht für die große Masse. Die Journalisten wissen das und werden mit der Zeit immer dreister, ersparen sich Recherche-, Denk- und Tipparbeit und kommen dann zu solchen eigentlichen Unmöglichkeiten. Was kann ihnen auch schon passieren bei einem Medium, sei es Presse oder Rundfunk, das nur in einer Richtung arbeitet? Die Leute können sich nicht beschweren, und was tagtäglich in die Hirne der Medienkonsumenten gegossen wird, bestimmen nicht die Medienkonsumenten – eine scheinbar unangreifbare und absolute Machtposition, fast schon wie bei Stargate, wo die Gouaolds oder wie die heißen, diese Schlangenwesen in den Köpfen ihrer Wirte die absolute Kontrolle übernehmen.