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Avatar von auf_der_hut
  • auf_der_hut

mehr als 1000 Beiträge seit 07.05.2008

Re: Das ist das Kardinalproblem…

Das ist ein unpassender vergleich. Weder sind die Russen "die Borg", noch sind sie ohne Vorgeschichte einmarschiert.

Doch, sind sie. Sie wollen ihre sogenannte "Kultur" und Lebensweise den Ukrainern aufzwingen, obwohl die sich sehr klar dagegen gewandt haben. Putin spricht der Ukraine eine eigene nationale Identität rundweg ab, für ihn ist die Ukraine größtenteils eine russische Provinz, höchstens als Vasallenstaat wie Belarus noch halbwegs akzeptabel. Die Ukraine ist Russland was Demokratie, Rechtstaatlichkeit und individuelle Freiheit angeht um Längen voraus und vor allem strebt sie an, auf diesen Gebieten besser zu werden. Russland ist genau in die andere Richtung unterwegs und hat alle zarten Ansätze von Demokratie und Bürgerrechten beseitigt. Von einer "Befreiung" kann nicht im entferntesten die Rede sein. Die Ukrainer sind entweder geflohen, zur Armee gegangen oder sie haben Molotowcocktails vorbereitet und Panzersperren gebaut - absolut nichts spricht dafür, dass die Russen in der Ukraine irgendwie willkommen sind. Und kommen Sie nicht mit den sogenannten Referenden - die sind eben so ausgegangen, wie alle Wahlen im realen und Post-Sozialismus so ausgehen. 97% für Honnecker - lächerlich.

Russlands Anspruch auf die Ukraine basiert auf nichts anderem als auf dem Recht des Stärkeren. Hätte die Ukraine die sowjetischen Atomwaffen behalten, dann wäre sie jetzt die drittgrößte Atommacht der Welt und Russland müsste sich etwas anderes einfallen lassen, als seine Fallschirmjäger nach Kiew zu schicken und Selenskyi zu erschießen. Denn das war ja wohl der ursprüngliche Plan. Inzwischen sind ja auch alle Masken gefallen und man lässt der Ukraine ganz klassisch die Wahl zwischen Unterwerfung und Vernichtung - "du wirst es ertragen müssen, meine Schöne", wie Putin sich ausdrückte. Und da wären wir dann wieder bei den Borg.

Die Vorgeschichte kenne ich und die würde ich mal pauschal unter "Ausreden, die jeder Eroberer absondert" verbuchen (Der Klassiker ist Seit 5:45 Uhr wird zurückgeschossen"). Es lohnt sich nicht, sich damit groß zu befassen. Es gibt keinen einzigen nachvollziehbaren und akzeptablen Kriegsgrund, den Russland ins Feld führen kann. Eine Vorgeschichte gibt es immer, aber die ist hier irrelevant. Es gibt keinen "Konflikt zwischen den Hegemonialmächten", sondern einen Kampf Russlands um den Einfluss in einem Nachbarland. Dass Russland die pro-westliche Regierung dort nicht passt und dieses Land (welch Wunder!) in die NATO will ist jedenfalls kein legitimer Kriegsgrund. Auch dass viele Ukrainer russisch sprechen zählt nicht. Genauso sieht das auch die UN-Generalversammlung der UN mit 141:5 Stimmen. Keine russische Fahne auf irgendeiner Ruine im Donbass wird diese Tatsache aus der Welt schaffen. Am besten mal in Israel (Westbank), in der Türkei (Zypern) oder in China (Tibet) nachfragen, welch Quelle des Friedens und der Freude solche "realpolitischen" Eroberungen werden können. Kennt Russland aber auch noch selbst aus Sowjetzeiten: das annektierte und nie offiziell als Teil der Sowjetunion anerkannte Baltikum war genau der Teil des Sowjetimperiums, der gleich als erstes das Weite suchte, als der Eroberer schwächelte und setzte dadurch eine Kettenreaktion in Gang, die das ganze "Reich" dann mit sich riss.

Das ist die Realpolitik. Es hat seit dem 2. Weltkrieg keinen Krieg mehr wie den Russlands gegen die Ukraine gegeben, wo ein Staat einmarschiert, um den anderen ganz oder teilweise zu annektieren. (Ausnahme: der 2. Golfkrieg des Irak gegen Kuwait). Annexionen sind völkerrechtlich nichtig (Stimson Doktrin). Russland möchte ins 19. Jahrhundert zurück, wo mächtige Männer sich nach geschlagener Schlacht über Landkarten beugten, Grenzen neu zogen und (in der Neuzeit) auch ganze Völker verschoben. Niemand will dahin zurück, außer eben Russland.

Mehr als ein de-facto Regime kann da nicht herauskommen. Und bei der ersten Gelegenheit fliegt Russland der ganze Laden um die Ohren, wie schon der ungleich stärkeren Sowjetunion auch. Ideologisch ist der "russische Geist" ja ohnehin nur ein dünner Aufguss aus Versatzstücken aus der der leicht faschistoid-militaristischen Mottenkiste um Volk- und Vaterland, verbunden mit einem ziemlich seltsamen Begriff von "Größe". Sollte Russland sich wieder auf einen Rüstungswettlauf mit dem Westen einlassen, dann wird es über kurz oder lang wieder genau da landen, wo die Sowjetunion auch geendet ist. Wie man sich so einen in jeder Hinsicht gescheiterten Staat als historisches Vorbild nehmen kann, dann erwartet, dass es dieses mal aber bestimmt ganz großartig wird, wenn man den bösen Westen erstmal besiegt hat und das dann auch noch "Realpolitik" nennt, das erschließt sich mir nicht. Es ist ein Traum - und nicht einmal ein schöner.

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