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Avatar von auf_der_hut
  • auf_der_hut

mehr als 1000 Beiträge seit 07.05.2008

Re: Das ist das Kardinalproblem…

Es wurde im Vorfeld noch nicht einmal der Versuch gemacht, wirklich zu verhandeln:

Eine Liste mit unerfüllbaren Maximalforderungen zu veröffentlichen ist kein Verhandlungsangebot, sondern dient eher der Verhinderung von Verhandlungen als deren Anbahnung. Verhandlungen brauchen ein Mindestmaß an Vertrauen und Ehrlichkeit, beides ist nicht gegeben wenn man zusammen mit der erwähnten Liste eine Invasionsarmee aufmarschieren lässt (dazu auch noch gegen einen Staat, dem man weder ein Ultimatum gesetzt noch sonst irgendein Angebot gemacht hat) und gleichzeitig auch noch wahrheitswidrig behauptet, es handele sich nur um eine Übung.

Einem potenziellen Verhandlungspartner erstmal als Einleitung zu drohen, man werde einen befreundeten Staat angreifen, wenn er nicht diese oder jene Forderung erfüllt - das ist eher die Herangehensweise eines Geiselnehmers als die eines Diplomaten.

Die Antwort der USA und der NATO wurden nicht veröffentlicht, so etwas gehört sich nicht und erschwert eine Einigung enorm. Aber der Westen war sichtlich bemüht, mit Russland wieder ins Gespräch zu kommen. NATO-Generalsekretär Stoltenberg schlug z.B. vor, als ersten Schritt die diplomatischen Vertretung Russlands bei der NATO und vice versa wieder zu eröffnen. Aber niemand konnte wohl ernsthaft erwarten, dass die NATO Russland offiziell ein Mitspracherecht darüber einräumt, wen sie als Mitglied aufnimmt. Die Bündnisfreiheit gehört zu den Grundregeln der KSE, die Russland akzeptiert hat.

Der Westen hatte versprochen, die NATO nicht nach Osten auszudehnen

Das mag ja für 1991 stimmen. 1997 unterzeichnete Russland aber die NATO-Russland Grundakte in der es heißt:

"Achtung der Souveränität, Unabhängigkeit und territorialen Unversehrtheit aller Staaten sowie ihres naturgegebenen Rechtes, die Mittel zur Gewährleistung ihrer eigenen Sicherheit sowie der Unverletzlichkeit von Grenzen und des Selbstbestimmungsrechts der Völker selbst zu wählen“.

Das schließt selbstverständlich das Recht ein, sich einem Bündnis anzuschließen.

Weiter werden in der Grundakte die Bedingungen für die NATO-Mitgliedschaft der ehemaligen Ostblockstaaten, betreffend z.B. Truppenstationierung, Atomwaffen und dergleichen detailliert geregelt. Damit waren all diese ominösen Zusagen aus der Zeit vor dem Zerfall des Ostblocks nur noch von historischem Interesse. Da sie nie vertraglich festgehalten wurden, musste auch nichts gekündigt oder geändert werden. Die NATO hatte die Aufnahmeanträge, die schon direkt nach der Auflösung des Warschauer Paktes Anfang der 90er erfolgte, auch zunächst abgelehnt bzw. verzögert, bis man sich mit Russland über die Bedingungen geeinigt hatte.

Noch 2004 gratulierte (!) Putin den baltischen Staaten zum NATO-Beitritt und sagte: „Hinsichtlich der Nato-Erweiterung haben wir keine Sorgen mit Blick auf die Sicherheit der Russischen Föderation". Erst in den folgenden Jahren änderte sich seine Position und da wurden dann auch die vergilbten Gesprächsnotizen von 1989-91 wieder hervorgeholt. Das ist etwa so, als wenn sich Deutschland heute noch auf Vereinbarungen aus dem Hitler-Stalin-Pakt berufen würde.

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