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  • Guckstu

mehr als 1000 Beiträge seit 18.03.2024

Re: Es macht für dich also keinen Unterschied, ob

Ackerland schrieb am 18.08.2024 01:58:

Guckstu schrieb am 17.08.2024 22:08:

Der Punkt ist, es wurde ja noch nicht einmal versucht einen NATO Beitritt der Ukraine aus der Diskussion zu bringen.

Doch, wurde es.

Quelle?

Klare Ablehnung eines NATO-Beitritts der Ukraine.
Mehrfach, von verschiedenen Westpolitikern, u.a. auch Merkel, zahlreiche Quellen aus unterschiedlichster Perspektive sind mit folgender Suche auffindbar:

ukraine nato merkel 2008

In https://de.wikipedia.org/wiki/NATO-Gipfel_in_Bukarest_2008 kannst du nachlesen, dass Deutschland, Frankreich und Großbritannien gegen den Beginn des Aufnahmeprozesses waren; da die anderen Staaten dafür waren, hat man die Ukraine vertröstet und, ihre "euro-atlantischen Bestrebungen" begrüßt und vage eine Mitgliedschaft in Aussicht gestellt.

Daran hat sich sogar bis nach 2018 nicht viel geändert, man hat lediglich zur Kenntnis genommen, dass die Ukraine auf NATO-Kurs ist, aber es gab noch immer keinen Beginn des Aufnahmeprozesses.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/NATO-Ukraine-Charta

Klar weiß ich es nicht mit Gewissheit. Aber Du kannst auch nicht in die Köpfe der russischen Führung reinschauen.

Muss man auch nicht.
Man muss nur mit Aussagen aus anderen Kontexten vergleichen.
Und es ist halt eindeutig, dass Putin die Ukraine als abgespaltenen Teil von Russland sieht, den es "heim ins Reich zu holen" gilt, und zwar komplett mit rücksichtsloser Assimilation.

Bitte eine Quelle von vor dem Kriegsbeginn im Jahr 2022, in dem das so gesagt wird von ihm.

https://de.wikipedia.org/wiki/NATO-Gipfel_in_Bukarest_2008
Zitat Putin: „George, Sie müssen verstehen, dass die Ukraine noch nicht einmal ein Land ist. Ein Teil ihres Territoriums liegt in Osteuropa, und der größte Teil gehört zu uns.“

Meines Wissens nach hat er sich selbst nach 2022 noch nur auf die mehrheitlich russischsprachigen Gebiete beschränkt. Ich lasse mich aber gerne eines Besseren belehren, wenn Du eine gute Quelle für Deine Behauptung hier hast.

"Der größte Teil gehört zu uns" ist eindeutig mehr als nur die mehrheitlich russischsprachigen Gebiete.

Obendrein noch https://de.wikipedia.org/wiki/Zur_historischen_Einheit_von_Russen_und_Ukrainern von 2021.

Ich habe jetzt nicht den Originaltext gegengeprüft, aber schon der erste Satz unter "Inhalt" ist sehr eindeutig:
"Putin streitet in seinem Essay die Existenz der Ukraine als einer unabhängigen Nation ab.[1][10] Russen und Ukrainer seien gemeinsam mit den Belarussen ein Volk und gehörten zur historischen „dreieinigen russischen Nation“."
Gleicher Abschnitt, zweiter Absatz, letzter Satz: "Die Ukrainer und die Ukraine seien ein natürlicher Teil Russlands und würden als eigenständiger Staat und eigenständige Bevölkerung nicht existieren."

Das lässt an Klarheit eigentlich nichts zu wünschen übrig.

Das einzige, was ich nicht genau weiß, ist, wann er zu dieser Auffassung gelangt ist.
Unter "Internationale Reaktionen" heißt es: "Dieselben Themen habe Putin bereits 2007 in seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz kundgetan."
Das lässt mich vermuten, dass man weitere Belege in Putins Äußerungen von 2007 und danach finden wird, aber ich habe dafür keine konkreten Quellen und habe jetzt auch die Rede der Sicherheitskonferenz nicht herausgesucht; du wolltest etwas für "vor 2022", das scheint mir mit Putins Essay belegt zu sein, Älteres wäre lediglich ergänzend und untermauernd.

Aber lass mich wissen, wenn du Genaueres findest.
Gleicher Arbeitsaufwand für alle Seiten und so :-)

Der Unterschied zwischen Dir und mir scheint zu sein, dass ich mir wenigstens dessen bewusst bin.

Mir scheint, du versuchst grad in meinen Kopf reinzuschauen.

Die Vehemenz und Absolutheit Deiner Aussagen, die Du hier ohne einen Hauch von Selbstzweifel vorträgst, spricht für sich:


Ich denke, der Krieg hätte dann verhindert werden können.

Nein, hätte er nicht.

Dann haben sie erst die Krim besetzt, dann in der Ostukraine einen Bürgerkrieg angezettelt.

Und doch liegst du daneben.
Ich hatte meine Zweifel, habe mich informiert und meine Schlüsse gezogen.
Schon die "grünen Männchen auf der Krim" sind eindeutig belegt.
Auch dass die Donbas-Separatisten mit reichlich russischem Militärgerät ausgestattet waren, lässt ebenfalls nur diesen Schluss zu; Soldaten hätten sich auf eigene Faust den Separatisten anschließen können, das war nie sonderlich glaubwürdig (ebensowenig wie die "nur Militärberater" für Saigon), aber Panzer und Artillerie fahren nicht aus eigenem Entschluss über die Grenze, und auch nicht ohne Genehmigung des Eigentümers. Auch dass die Ukraine berichtet, dass sie jedes Mal, wenn sie die Separatisten endlich militärisch am Wickel hatten, von Russland(!) aus mit Artillerie beschossen wurden und sich zurückziehen mussten, ist zwar kein direkter Beweis, weil sie sicherlich nicht neutral sind, aber es ist ein klarer Beweis dafür, dass die Ukraine sich zu 100% sicher war, dass die Separatisten von Russland massiv unterstützt wurden, und es unterstützt die Logik hinter dem russischen Militärgerät in Händen der Separatisten.
Das abgeschossene niederländische Passagierflugzeug war ja auch ein russischer Militär. Der Verantwortliche hat das Jahre später im Interview sogar selbst freimütig verkündet.

Viel eindeutiger geht's eigentlich nicht.

Alles richtig. Die klassiche Vorgehensweise, mit der Hegemonialmächte ihre Interessen verteidigen. Da gibt es auf Seiten der USA und CIA auch einige schöne Beispiele, wie man so etwas am besten anstellt.

Freilich, freilich.
Aber hier geht es um die Ukraine.

Und einen wesentlichen Unterschied gibt es auch: Die Amis versuchen nicht, sich ganze Völker als "natürliche Bestandteile der USA" anzueignen oder Land als Teil der USA zu besetzen.
Selbst wenn sie mal was besetzen, wollen sie eigentlich so schnell wie möglich wieder raus.
Dominieren, das ja. Aber nicht erobern. Selbst dominieren wollen sie eigentlich nicht, grundsätzliche Freundschaft reicht ihnen, und wenn eine befreundete Nation mal bei einer Militäraktion nicht direkt mitmachen will wie Schröder damals, grummeln sie zwar, aber sie akzeptieren's und begnügen sich mit rein logistischer Unterstützung.

Da sind die Russen doch sehr viel unmittelbarer aufgestellt, die beantworten jedes Widerstreben mit Kriegsdrohungen oder wie im Fall Weißrusslands mit scheibchenweisem Entzug der Souveränität.
Vergleich das mal mit den USA, die haben Deutschland sogar aus dem Besatzungsstatut entlassen, die waren sogar entgegenkommender als die Franzosen (unbegeistert) oder Großbritannien (aktive Gegnerschaft).

Und du willst allen Ernstes behaupten, IRGENDEINE Aussage der Russen sei glaubhaft? Sie würden gar bedroht?

Ob eine Militärallianz, die bis an Russlands Grenzen vorstoßen, eine Bedrohung ist, oder nicht, entscheidet Russland für sich allein.

Nein, überhaupt nicht. Russland wurde nie von der NATO bedroht, es gab keine Invasionspläne, nicht mal nennenswerte Militärmanöver in Grenznähe, nichts.

Dass Russland sich bedroht FÜHLT, ist in der Tat deren Entscheidung.
Aber nicht mal das stimmt. Würden sie die NATO fürchten, hätten sie doch ihre Grenztruppen nicht abgezogen!

Dass Russland eine Bedrohung BEHAUPTET, ist natürlich erst Recht deren Entscheidung.
Aber das darf man wirklich nicht glauben, wenn alle Indizien darauf hinweisen, dass sie sich tatsächlich nicht fürchten.
Wer's doch glaubt: Entweder auf die russische Propaganda reingefallen oder selber Propagandist.
Außer, er kann das Argument mit den abgezogenen Truppen irgendwie entkräften. Hat aber bisher noch KEIN EINZIGER auch nur versucht, geschweige denn schlüssig belegen können.

Und Russland allein entscheidet, wie es auf diese gefühlte Bedrohung reagieren möchte, nachdem es im Westen keinerlei Verhandlungsbereitschaft, in diesem Punkt, gab.

Und was, wenn Russland diese Bedrohung gar nicht fühlt, sondern nur behauptet?
Das ist immer noch deren Entscheidung, aber sie reagieren da nicht auf eine Bedrohung, sondern auf das Verweigern imperialistischer Expansion.
Und wenn man sich imperialistischer Expansion nicht entschlossen entgegenstellt, ist man früher oder später selber dran. Imperien dehnen sich nun mal aus, bis sie an innere oder äußere Widerstandslinien geraten.

Wäre Russland eine aufgeklärte Demokratie oder ein wirtschaftlich erfolgreicher Staat, könnte man noch drüber reden, ob es unter russischer Dominanz nicht sogar besser wäre als wenn man eigenständig bleibt.
Sowas hat es in der Vergangenheit tatsächlich gegeben, das römische Reich hat nicht nur mit Krieg ausgebreitet, sondern auch damit, dass Nachbarvölker gesagt haben: Unter römischer Herrschaft geht es uns besser, wir unterwerfen uns freiwillig. Das war nicht der Regelfall, aber auch nicht so selten, dass man es als Ausnahme werten müsste. Sogar die meisten germanischen Stämme wären gern ins römische Reich gekommen, aber die romfeindlichen Stämme haben mit ihrem Militärcoup im Teutoburger Wald den Römern das Interesse an Germanien derart verleidet, dass sie keine Aufnahmegesuche mehr akzeptiert haben. Stattdessen haben sie dann reichlich grenzüberschreitenden Handel gefördert, da konnte sich jeder Romfreund halt römische Waren kaufen und für die Mittelschicht gab es eben keine römischen Straßen und keine römischen Waren.

Diese Entscheidung ist nun leider nicht im Sinne der Ukraine ausgefallen. Wohl aber im Sinne gewisser Zirkel der amerikanischen Außenpolitik, die Russland geschwächt, und in ein 2. Afghanistan laufen sehen wollen.

Diese Zirkel gibt es sicherlich.
Aber die hätten sich auch damit zufriedengegeben, wenn Russland einfach von sich aus auf Imperialismus verzichtet hätte.

Allerdings sind die Amis in punkto Russland INSGESAMT ohnehin recht entspannt. Selbst die Biden-Regierung musste erst überzeugt werden, dass es sie sehr wohl etwas angeht, wenn Russland wieder auf Imperialismus macht, ursprünglich hatten die diesen Konflikt als rein innereuropäisches Problem wahrgenommen.

Dass die Leute immer glauben, die Amis würden Russland noch als große Bedrohung wahrnehmen.
Nein. Tun sie nicht. Nicht mehr. China ist aus US-Sicht ein viel größeres Problem.
Russland ist aus der US-Perspektive zu einer Regionalmacht herabgesunken.

Die Atomwaffen machen Russland wegen der Atomwaffen noch vage bedrohlich, aber die taugen nur als Abschreckungswaffen, nicht für den Angriff: Würde ein einziger Atomstaat sie für einen Angriff einsetzen, würden ALLE Staaten aus dem Nonproliferationsvertrag aussteigen und sich Nuklearwaffen zulegen wollen, um atomare Aggression abzuschrecken, und das würde die Welt auch für die Atomwaffenstaaten sehr viel riskanter machen.

Das dürfte auch der tiefere Grund sein, warum Putin immer noch keine Atomwaffen eingesetzt hat. So ein Atomschlag auf Kiew hätte den ukrainischen Widerstand ja sofort beendet, aber sie haben es vorgezogen, sich aus der Nordukraine schmählich rauswerfen zu lassen, im Donbas hässliche Verluste und wirtschaftlichen Ruin zu akzeptieren und bei Kursk jetzt sogar eine Invasion auf jahrhundertealtes russisches Gebiet hinzunehmen.

Vielleicht hätte Putin sogar eine nukleare Weltbewaffnung hingenommen, in Russland gibt man ja traditionell wenig auf mittelfristige Folgen und löst erstmal das unmittelbare Problem.
Aber Putin hat das unmittelbare Problem, dass er dringend Waffenimporte und dafür Rohstoffexporte braucht, um den Krieg weiterführen zu können, und das geht in nennenswerten Mengen zu brauchbarer Qualität nur mit China und Indien - beides Atommächte, die das Mittelfristige fast wichtiger finden als das Unmittelbare und deren Goodwill mit einem Atomwaffeneinsatz wohl drastisch kleiner würde.

Ob das so eintrifft, oder ob dieser Schuss nach hinten losgeht, das kann uns nur die Zeit zeigen.

Sowieso.

Russland hat immer Forderungen gestellt, die darauf hinausgelaufen wären, dass die Ukraine zum Marionettenstaat Russlands wird oder jederzeit mit minimalem Aufwand zu einem gemacht werden könnte.

Die Ukraine war seit 2000 schon kein Marionettenstaats Russlands mehr.

Und Russland hat sich danach bemüht, diesen Status wiederherzustellen.
Ich lese, dass das 2013 endgültig gescheitert ist, als die sich durchlavierende weder pro- noch antirussische Regierung (Poroschenko?) davongelaufen ist und EU-freundliche Kräfte an die Macht gekommen sind, und das war dann auch das Jahr der Krim-Annektion, nach der Logik: Die politische Einflussnahme ist endgültig gescheitert, wir müssen jetzt militärisch zuschlagen.

Hätte der Westen damals hart reagiert und Truppen oder Waffen entsandt, hätte sich Russland möglicherweise nicht getraut, im Donbas die Rebellion loszutreten.
Wahrscheinlich aber doch. Irgendwelche Blauhelme aus dem Westen hätten die Lage vor Ort wohl zuwenig verstanden, die Russen hätten ihnen problemlos Sand in die Augen streuen können und das ukrainische Regime war damals noch zu korrupt, als dass deren Gegendarstellungen ausreichend glaubwürdig gewesen wären.
Die Ukraine hat der Korruption ja erst ernsthaft abgeschworen, als die Russen einmarschiert sind. Diese Invasion war wohl nötig, damit die russlandfreundlichen Kräfte keinen Rückhalt mehr haben und die Strömungen, die für einen Westanschluss standen, eindeutig die Oberhand kriegen und man dafür auch eine Einschränkung der Korruption in Kauf nimmt.
Putin, das 5D-Schach-Genie, das ist die spöttische Einordnung der Konsequenzen dieser Invasion.

Aber es stimmt schon. Vor 2022 war die Ukraine nur sehr beschränkt "westfähig", und seit 2022 ist sie zwar sehr entschlossen auf dem Weg dorthin, aber auch noch nicht angekommen.

Sie war gleichwohl eine Spielwiese für sowohl amerikanische, als auch russische Einflussoperationen. Mal hatten westlich orientierte Kräft, mal hatten russisch zugewandte Kräfte die Oberhand. Sie stand auch noch nie vereint für Europa und gegen Russland. Sie konnte in der Vergangenheit aber Differenzen zwischen dem Westen und Russland geschickt zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzen. Das hätte sie auch weiterhin haben können, bis eben amerikanische Politiker auf dem Maidan erschienen sind, der gewählte Präsident entmachtet wurde, und die NATO Mitgliedschaft weiter vorangetrieben wurde.

Na ja. Der gewählte Präsident hat halt einmal zu viel laviert und das Volk hatte die Nase von der prorussischen Korruption mittlerweile die Nase gestrichen voll.
Ohne das hätte keine einzige Einflussoperation Wirkung zeigen können, sondern wäre so wirkungslos geblieben wie zum Beispiel in Russland.

Ob der Regierungswechsel damals legal war, ist unklar; es war schlicht nicht vorgesehen, dass der Präsident vor dem eigenen Volk ins Ausland flüchtet und keine Amtsgeschäfte mehr wahrnimmt.
Legitim war es allemal, und mit der darauffolgenden Parlamentswahl war die nächste Regierung ohnehin auch legal.
D.h. Zweifel an den Abläufen des Maidan kann man gerne haben, aber das ändert ja nichts daran, dass Russland keinerlei Recht hatte, die Krim oder den Donbas zu annektieren. Oder daran, dass es für den Westen unklug wäre, Russland in der Ukraine gewähren zu lassen, und obendrein auch ziemlich amoralisch.

Die russische Verhandlungsposition: Wir können uns drauf einlassen, NICHT in die Ukraine einzumarschieren, wenn ihr alle ehemaligen Ostblockstaaten aus der NATO rauswerft.

Falsch. Die Verhandlungsposition war, Ukraine kommt nicht in die NATO, sowie Abzug westlicher Truppen aus den ehemaligen Ostblockländern.

Ja, das haben sie so gesagt.
Nur dass bei einem Komplettabzug die Verteidigungsgarantien für die ehemaligen Ostblockländer ziemlich wertlos geworden wären.
Also wäre es auf einen Rauswurf aus der NATO hinausgelaufen. Ohne die Verteidigungsgarantie ist die ja nur noch ein Papiertiger.

Ich glaube, über den zweiten Punkt wären die Russen verhandlungsbereit gewesen. Über den ersten sind sie es - wir wir jetzt im Ukrainekrieg sehen - nicht.

Sie haben meiner Einschätzung nach den zweiten Punkt lediglich zurückgestellt.
Es gab immer wieder Aussagen von Peskow und ähnlich offiziellen Stellen, dass keiner glauben solle, dass es keineswegs nur um die Ukraine ginge.
Und in der Tat ist Russland ja mit Einflussoperationen in den Randstaaten der NATO weiterhin sehr aktiv. Die Russen sind ja nicht blöd, wozu einen teuren Krieg anfangen, wenn man viel billiger Einfluss kaufen kann und die Staaten schließen sich dann von selbst wieder Russland an... hat in Weißrussland ja sogar unumkehrbar funktioniert, in Ungarn und der Slowakei für den Moment, in Moldawien immerhin so halb.

Ich sehe auch nicht, dass russische Sicherheitsinteressen jemals von westlicher Seite überhaupt ernstgenommen wurden.

[...]
War den Russen auch jahrelang genug. Erst als die Ukraine in den Westen wollte, haben sich die Russen überhaupt über die NATO zu beschweren angefangen.

Aber genau das sagen die Russen doch schon seit ewig:
- "Polen in NATO? Finden wir nich so geil, aber wir sind zu schwach und können nichts dagegen tun"
- "Bulgarien Rumänien in die NATO? *Zähneknirsch* nagut, aber dann ist Schluss
- "Ukraine und Georgien sind unsere direkten Nachbarn mit einer seeehr langen Grenze. Eine Mitgliedschaft dieser beiden Länder verletzt unsere Sicherheitsinteressen, und wir werden das nicht zulassen".

Schon richtig.
Aber was ändert das daran, dass Russland immer einen Dreck auf die Sicherheitsinteressen von Polen, Bulgarien, Rumänien, Ukraine, Georgien gegeben hat? Das war immer nur Ich, Ich, Ich, stumpfer klassischer Imperialismus.

Russland kann da Ansprüche begründen, aber nicht legitimieren.

Und der Westen kann sich nicht darauf einlassen, nicht legitimierbare Ansprüche zu akzeptieren.
Dann müssten die ganzen Ostblockländer wieder große Angst vor Russland haben, NATO-Mitgliedschaft hin oder her.

Merkel wusste das, Obama wusste das, und Trump wusste das. Explodiert ist das Fass mit Biden und seinen Superfalken, in der Regierung. Wundern tut es mich nicht.

Nö, das ging schon mit der Annektion der Krim los.

Ich gebe hier mal meine Interpretation der russischen Entscheidungsfindung zum Besten; die ist natürlich nicht belegbar, aber angesichts der Belege für den Revisionismus und Imperialismus der russischen Führung finde ich den viel plausibler als die Geschichte mit der Bedrohung durch die NATO (wie gesagt, sie haben alle ihre Grenzen zur NATO fast unbewacht gelassen):

Russland hat da die Reaktionen des Westens getestet.
Dreiste Krimannektion geht? Gut.

Können wir etwas näher heranrücken, aber mit ein bisschen Nebelwerferei den Westen dazu bringen, eine Separatistenbewegung in der Ostukraine zu akzeptieren, ohne dass der sich muckst?

Klappt? Ja? Der Westen ist schwach. Zeit für den nächsten Test.

Hm. Unser Militär ist noch nicht soweit.
Und der Westen wird sicherlich wieder mit Wirtschaftssanktionen antworten, aber mit denen kommen wir prima klar, der ist ja auf Gaslieferungen angewiesen. Lasst uns zehn Jahre warten, Devisenreserven aufbauen, damit die Sanktionen ins Leere laufen, Deutschlands Abhängigkeit über Nord Stream 2 noch weiter verstärken bzw. die Opposition Polens und der Ukraine gegen Deutschlands Abhängigkeit ins Leere laufen, wenn die Deutschen weiter die Gegenaktionen verhindern wie bei der NATO-Aufnahme der Ukraine, klappt das schon.

Oh. Die Ukraine wehrt sich? Egal, wir schicken halt doch mehr Truppen und bieten parallel Unterwerfung an, dann ist das Schlachten vorbei.
Verflixt. Die Briten bieten Waffen an, unser Angriff auf Kiew scheitert. Kleiner Rückschlag, wenn die Ukraine glaubt, mit ihrem wenigen Militär Widerstand leisten zu können, hat sie sich geschnitten.
Verdammt. Da springen weitere Weststaaten auf den Zug auf. WARUM? (Weil der Westen aufgrund der Entschlossenheit der Ukraine und ihrer Erfolge zum Schluss gekommen ist, dass es lohnt, dort den Wetteinsatz zu erhöhen und auf einen Sieg der Ukraine zu setzen. Die Entschlossenheit der Ukraine, sich jetzt eindeutig dem Westen anzuschließen und auch bei der Korruption und der Rechtsstaatlichkeit keine Abstriche mehr zu machen, hat da sicher auch dazu beigetragen, aber da Putin der Ansicht ist, dass die Ukrainer eigentlich auch nur Russen sind und sich tief in ihrem Herzen nach der Vereinigung mit Russland sehnen, KANN er die Reaktionen nicht verstehen und glaubt an einen antirussischen Kurs des Westens, aber der ist in Wirklichkeit nur proukrainisch.) Jetzt müssen wir alles dransetzen, den Sieg zu erzwingen.
Oh. Die Amis liefern auch. Die Deutschen hatten mal nur Lächerliches versprochen, aber jetzt versprechen sie ernsthaft Waffen und liefern auch noch. Aber Russland hat sich auf diesen Krieg festgelegt, die Regierung würde stürzen, wenn sie ihn jetzt aufgibt, wir MÜSSEN das gewinnen - Scheiiii...

Das ist aber nur einer von vielen Gründen, weshalb Russland dann letztlich einmarschiert ist.

Eigentlich der einzige.

Eine simple Rationale, für ein einfaches Weltbild.

Wer ein einfaches Weltbild unterstellt, interessiert sich nicht für die Komplexitäten dahinter.

Das ist nicht irgendeine widerwärtige und schlimme Stimme.
Das ist die widerwärtige und schlimme Stimme von RIA Novosti, einer regierungsamtlichen Nachrichtenagentur, seit 2013 mit dem Auftrag, „an einer positiveren Wahrnehmung Russlands“ zu arbeiten.

Ja klar. Und aus dem Westen hört man, dass wir den Krieg als Mittel zum Zweck für die Desintegration Russlands nutzen sollten:
https://www.youtube.com/watch?v=53k9oQRakoU

Jaja, die Hindustan Times interpretiert da eifrig was in eine Konferenz hinein, in der man sich über die Handlungen nach einem etwaigen Sieg über Russland koordiniert.
Wenn Duda Russland dekolonialisieren will, ist das eine Einzelmeinung, von der er die anderen Staatsoberhäupter erst noch überzeugen muss.

Das sieht ein bisschen anders aus, als wenn ein von Putins Apparat direkt kontrollierter Sender sehr konkrete Pläne verlautbart, nicht wahr?

Und obendrein ist es nur eine paar Laufschriften, nicht mal Zitate.
Die Laufschriften strotzen auch nur so von Wieselwörtern wie "allegedly".

Als Beleg taugt das wirklich herzlich wenig.
Auch wenn ich gerne glaube, dass Duda eine Dekolonisierung Russlands gefordert hat.
Aber der entscheidende Punkt ist: Ist das in die politischen Ziele aufgenommen worden oder nicht?
So berechtigt das Anliegen wäre, es bestünde das Risiko nuklearer Proliferation und das chinesischer Einflussnahme, ersteres wäre gegen die Interessen der ganzen Welt, letzteres gegen die Interessen des Westens.
Ich bezweifle, dass man diese Dekolonisation tatsächlich beschlossen hat, oder selbst im Geheimen tatsächlich will. Die Gründe dagegen sind einfach zu stark.

Und damit ist das auch keine Bedrohung für Russland.
Auch wenn Russland das natürlich wieder als Bedrohung hochstilisieren will.

Und vergiss nicht: Die Inder haben Gründe, sich zumindest ein Stück weit auf die Seite Russlands zu schlagen. Indien ist einer der wenigen Staaten, die es sich leisten können, die westlichen Sanktionen zu unterlaufen, und da Russland für sein Öl nur noch wenige Abnehmer hat, kann Indien die Preise diktieren.
Dafür macht man auch gern ein bisschen gut Wetter mit Zuspruch für Russland, kostet ja nix.

Aus Sicht der Russen ist das dasselbe, nur mit umgekehrtem Vorzeichen.

Ja, wenn der Westen Russland wirklich zerschlagen wollte.
Das wurde sicher diskutiert, es ist ja auch durch die Presse gegangen und es gibt etliche Vlogger, die das Thema mal durchgekaut haben.
Aber realistisch ist das alles nicht.

Ich lass ich durch entsprechende Quellen gern vom Gegenteil überzeugen, aber ich bezweifle, dass es dazu mehr als Gerüchte gibt.
Aber schau mal, ob du was findest. Ist immer interessant.

Das war alles vor dem Krieg, den ich nach wie für vermeidbar hielt, noch überhaupt gar kein Thema.

Der war spätestens Anfang 2022 unvermeidlich, da hatte sich Russland offensichtlich bereits festgelegt.

Vorher wäre er nur unter Preisgabe der ukrainischen Souveränität verhinderbar gewesen.

Die Ukraine war noch nie wirklich souverän, genauso wenig wie Deutschland seit Ende des zweiten Weltkriegs souverän war, und ist.

Souveränität ist ein Kontinuum, nichts Binäres.
Nicht einmal die USA sind völlig souverän, sondern haben sich durch Bündniszusagen selbst gebunden - was genau das ist, war Trump und den Isolationisten in den USA so stinkt, übrigens, und sie übersehen dabei völlig, dass diese Selbstbeschränkung den USA ja auch Einflussmöglichkeiten gegeben hat, die sie ohne das nicht hätten: Ohne NATO-Beistandspakt würde Europa den USA garantiert nicht halb so viele Mitspracherechte einräumen wie momentan.

Wenn die Amerikaner sagen: "Deutschland hüpf!", dann fragen wir "wie hoch?".

Falsch.
Schon die "Koalition der Willigen" war ja nur ein Teil der mit den USA befreundeten Staaten.
Deutschland hätte nach dem Willen der USA auch Militär schicken sollen und musste sich am Ende doch mit bloßer logistischer Unterstützung zufriedengeben.

Wir fragen also nicht "wie hoch", sondern wir sagen sogar: "Aber nur bis Knöchelhöhe!"

Unsere Souveränität ist tatsächlich stärker eingeschränkt als die der Amis.
Wir haben uns in die EU eingebunden, wir erkennen den IStG an, wir sind Verpflichtungen für die Ukraine eingegangen und im EWR und für die Menschenrechte.
Gegenüber den USA beschränken wir unsere Souveränität ein Stück weit, weil wir deren nukleare Abschreckung haben wollen und auch deren konventionelle Streitkräfte, aber in dem Maße, in dem das durch Trump immer weiter in Zweifel gezogen worden ist, lösen wir uns aus dieser Verpflichtung und schauen, wie wir unsere Souveränität gegenüber den USA steigern können. Bisher noch nicht ernsthaft, aber das nur deshalb, weil immer noch viele glauben, die Amtszeit von Trump sei ein einmaliger Ausrutscher; in Wirklichkeit gehen die Amis derzeit in Richtung Isolationismus, und spätestens bei der zweiten isolationistischen Präsidentschaft werden Deutschland und die EU sich ernsthaft von den USA abzunabeln beginnen.
Und das war's dann mit der gegenüber den USA eingeschränkten Souveränität.

Deutschland als Einzelstaat kann natürlich gegenüber einem wirtschaftlichen Koloss wie den USA nicht alleine souverän sein, es muss sich mit den EU-Staaten zusammenschließen - und damit eben Souveränität an die EU abgeben, das liegt in der Natur eines Zusammenschlusses.

Aber die EU-Staaten sind damit gut gefahren.
Sowas wie die DSGVO wäre lachhaft, wenn das nur Deutschland beschließt, aber da die den gesamten EU-Raum betrifft und die EU für die US-Softwarefirmen der wichtigste Auslandsmarkt ist (der chinesische ist ihnen ja mittlerweile ziemlich verschlossen), sehen sich die Amis - Souveränitätsverlust!! - dazu GEZWUNGEN, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Bisher nur durch Umgehungsmaßnahmen, aber ein Schritt nach dem anderen, Noyb bohrt da ja hartnäckig nach und erstreitet Gerichtsurteile, die die EU-Regierungen beachten müssen und irgendwann werden die genug haben und doch lieber durchsetzen als aushebeln.
Solche Verschiebungen dauern halt. Aber sie finden statt; auch Großbritanniens Abschied vom weltweiten Kolonialmachtstatus war ein langwieriger Prozess. Auch Spanien und die Niederlande haben eine ganze Weile gebraucht, um nach der Befreiung von Napoleon einzusehen, dass ihre Kolonialreiche weg sind, ebenso wie die Franzosen nach dem 2. Weltkrieg.

Es geht jetzt gerade eigentlich nur noch darum, dass viele Ukrainer das "Hüpf!" lieber von den Amerikanern hören möchten, und die Amerikaner diesen Umstand ausnutzen wollen, die Ukraine vollständig von Russland zu entkoppeln.

Nochmal: Den Amerikanern ist die Ukraine gar nicht so zentral wichtig, ein Gutteil der einflussreichen US-Politiker sehen das immer noch als rein innereuropäisches Problem.

Gegen Russland agieren hauptsächlich die Grenzstaaten, vor allem die mit eigener Wirtschaftskraft: Finnland, Schweden (Ostsee), Baltikum, Polen. Die Ungarn und Slowaken sind rausgekauft, die Rumänen haben nicht genug Geld und tun deshalb nicht ganz so viel, stellen aber gerne Land für Stützpunkte bereits, was ja auch wichtig ist.
Außerdem die Staaten, bei denen internationale Machtpolitik zum Selbstverständnis gehört, also die Briten und Franzosen.
Deutschland fährt ein bisschen einen Schlingerkurs, man versucht gegenüber der Öffentlichkeit möglichst neutral zu erscheinen und ist hinter den Kulissen tatkräftig pro-ukrainisch. Außer Lindner, der das gerade sabotiert, aber er hat sich wohl breitschlagen lassen, die Gelder so lange weiterlaufen zu lassen, bis andere Finanzierungsquellen gefunden sind (was immer noch Augenwischerei ist, aber sei's drum).

Da wird als Fakt zelebriert, dass Russland und "Kleinrussland" (russische Chiffre für "die Ukraine, die in Wirklichkeit nur Teil Russlands ist) endlich brüderlich vereint seien.

Dass Russland für ihren Krieg natürlich hart Propaganda macht, soll mich jetzt genau warum überraschen?

Das ist eben nicht Propaganda, sondern ausnahmsweise mal ernstgemeint.
Siehe Putins Essay.

Du solltest nicht nach deinem vorgefassten Bild gehen und alles, was Russland belastet, als nicht ernstgemeinte Propaganda abtun wie Russlands Wiedervereinigungsträume, und alles, was Russland entlastet wie die Bedrohungsaussagen als absolut aufrichtig und ernsthaft einordnen.
Sowas kann ein starker Bias werden.

Ich habe diese Position übrigens eine Zeitlang selber zumindest als ernsthaft diskussionsfähig eingestuft. Aber die Äußerungen in den russischen Medien und auch von Putin selbst sind derart über völlig unterschiedliche außenpolitische Konstellationen konsistent geblieben, dass ich nicht mehr daran glauben kann, dass der russische Imperialismus und der Revisionismus nur Propaganda sind, sondern das klar für Realität halte.

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