Ansicht umschalten
Avatar von Guckstu
  • Guckstu

mehr als 1000 Beiträge seit 18.03.2024

Re: Es macht für dich also keinen Unterschied, ob

Ackerland schrieb am 19.08.2024 01:20:

Guckstu schrieb am 18.08.2024 20:37:

Erst mit dem Schock des Einmarschs war die Ukraine gezwungen, sich sofort und definitiv zu entscheiden: Westen oder Russland, und diese Entscheidung ist zugunsten des Westens ausgefallen.

Diese Entscheidung ist 2014 gefallen, allerdings mehrheitlich von den westlichen Provinzen.

Eben. Da hat nicht die Ukraine insgesamt pro-westlich gedacht, sondern nur eine Mehrheit.
Das alte Problem mit Mehrheitsentscheidungen: Die Minderheit steht nicht dahinter und bremst und verhindert nach Kräften.
Genau diesen Effekt sehen wir ja selber, in der deutschen Politik.

Mit dem Einmarsch und dem Vorgehen der russischen Armee haben sich viele prorussische Ukrainer davon überzeugt, dass Russland zumindest politisch nicht die Heimat ist, die sie sich wünschen.
Und prompt war der Westkurs keine Mehrheitsentscheidung mehr, sondern eine Konsensentscheidung, und prompt geht es bei Rechtsstaat, Korruptionsbekämpfung etc. voran - vielleicht nicht immer richtig, aber auf jeden Fall entschlossen.

Natürlich keine 100%-Entscheidung, es gibt immer welche, die sich nicht überzeugen lassen.
Dummköpfe.
Fanatiker.
Egoisten mit ungewöhnlich gelagerten Partikularinteressen - ich bin sicher, die Opposition gegen den Westkurs ist im Osten der Ukraine jetzt deutlich weniger als in anderen Regionen. Menschen, die einen Hass pflegen, entscheiden ja nicht danach, welcher Kurs für sie der weniger unschädliche wäre, sondern welcher Kurs eher ihrem Hass entspricht - und wer sein Haus, Hab und Gut und Verwandte abseits der Front durch russisches Bombardement verliert, hasst natürlich die russische Armee und in der Regel damit auch den russischen Staat.

Sie haben halt anders entschieden, und damit sind all die "aber die armen Opfer" hinfällig: Die Ukrainer haben sich sehenden Auges für einen harten und üblen Krieg entschieden, und zwar nicht nur die Regierung, sondern auch die Hauptleidtragenden: Die einfachen Mannschaften in der Armee, die ja hätten reihenweise desertieren können, oder die Kämpfe auf Befehl und nur halbherzig hätten führen können und ansonsten die Russen machen lassen können.

Wenn das so stimmt, was Du sagst, dann hätte die Ukraine das Problem mit ihren Deserteuren nicht.

Oh nein. Das sagt nichts darüber aus, ob sie für oder gegen den Westkurs sind.
Sie wollen nur nicht persönlich an die Front.
Die Prowestler wollen das lieber Andere machen lassen, die übrigen Antiwestler aus Opposition, und aus der Desertionsrate kannst du nicht ablesen, wie groß die beiden Gruppen sind.

Desertion ist ein Problem, das jeder Staat hat, der in einem Abnutzungskrieg steckt, völlig unabhängig von der allgemeinen Zustimmung.

Sogar so eine Bananenrepublik wie die Türkei kann die Aufnahme neuer Mitglieder blockieren. Haben wir doch grad erst gesehen.

Das will ich sehen, wie lange eine Frau ohne Rückgrat, wie die Merkel, die 2003 eiskalt mit in den Irak marschiert wäre, oder wie lange unser Waschlappen von Bundeskanzler heute, dem Druck der Amerikaner standgehalten hätten.

Nee, Merkel hatte jede Menge Rückgrat. Wer sich in einem paternalistischen Haufen wie der CDU durchsetzt und sogar mächtige Kerle wie Biedenkopf und Geißler absägt, schafft das nicht mit Wischiwaschi, sondern muss entschlossen Tatsachen schaffen.

Der Eindruck von Rückgratlosigkeit kommt daher, dass ihre Ziele nicht das sind, was man in der Außenpolitik sieht, sondern einfach der Machterhalt.
Und da wird auch nicht gegenüber den Amerikanern Nachgiebigkeit gemacht, sondern gegenüber den Wählern, die einem womöglich von der Stange gehen.

Das gleiche gilt übrigens auch für Schröder und Scholz.
Schröder hat sich den Amis nicht aus Prinzipientreue widersetzt, sondern aus Angst vor Abstrafung an der Wahlurne.
Scholz führt sein Geeier wahrscheinlich aus, weil er einerseits die Ukraine unterstützen, andererseits immer noch die Stimmen der Leute haben will, denen Frieden egal zu welchen Bedingungen wichtiger ist als alles andere. Diese Friedensideologen - ich nenne sie mangels eines neutraleren Begriffs mal so - haben da keinen besonders rationalen Standpunkt: ein Indira Gandhi hat nur wegen Zurückhaltung der Briten gewonnen, hat der Gegner keine Zurückhaltung, endet das wie für Emil Hacha gegen Hitler. Putin hat ja auch keinerlei Zurückhaltung gezeigt, deshalb sind Forderungen nach Waffenstillstand und dergleichen ja so unpopulär.

Du meinst, die haben zwischen "Ukraine aufnehmen" und "das ist ein rein innereuropäisches Problem" geschwankt?

Oh. Nein. Die waren ziemlich inkonsistent.

Die Message der Amerikaner war konsistent: Die Ukraine kommt in die NATO. Wenn nicht heute, dann morgen. Und wenn nicht morgen, dann übermorgen.

Immer unter Voraussetzungen.
Erstens, dass die Ukraine wirklich will, was ja nicht so eindeutig war: Die Westentscheidung hätte immer noch durch Destabilisierung und Frustrationen umgedreht worden können. Die Türkei hat ja auch den eigentlich festen Willen zum EU-Beitritt aufgegeben aus Frustration darüber, dass sie im Aufnahmeprozess keine Fortschritte gemacht hat.
Zweitens, dass die Ukraine die Voraussetzungen überhaupt schafft; die damalige Korruption und die eher mäßig ausgebildete Demokratie waren stets Hindernisse, und die wurde auch im Inland kräftig ausgebremst.

Das hat Russland jede Menge Möglichkeiten gegeben, die Entscheidung noch rückgängig zu machen, solange es noch einen Einfluss in der ukrainischen Innenpolitik hat, und darum geht es ja.

Natürlich nicht militärisch!

Auch Russland zieht es vor, seine Ziele billiger zu erreichen, über politische Einflussnahme, notfalls Propaganda und Destabilisierung bis hin zur Sezessionistenunterstützung samt Artillerieunterstützung.

?
Also mit "Sezessionsunterstützung" lehnst Du Dich jetzt ziemlich weit aus dem Fenster.

Russland hat die Separatisten im Donbas massiv unterstützt. Das ist nun wirklich vielfach hinlänglich belegt.
Ich denke manchmal, dass es sie womöglich erst geschaffen hat. Es wäre jedenfalls folgerichtig; sie hatten ja das Motiv und die Mittel, obendrein jahrzehntelange Erfahrung mit subversiven Gruppen. Aber da habe ich bisher keine Belege gesehen, wahrscheinlich wird es sich auch nie belegen lassen, und womöglich stimmt es nicht und sie haben schon Separatisten vorgefunden.
Aber sie haben ihnen die Mittel gegeben, erst gegen die Polizei und dann gegen das Militär zu bestehen. Ohne das wäre der Separatistenaufstand niedergeschlagen worden, und es ist unklar, wie klug oder unklug, menschlich oder repressiv die ukrainische Regierung danach vorgegangen wäre; ich hatte oft den Eindruck, die hatten da keinen Plan dafür, und unter solchen Umständen kommen dann schnell die Scharfmacher an die Schalthebel.

Das war doch vor der Einladung in die NATO 2008, sowie vor dem Maidan, noch nie ein Thema. Alles was danach kommt, ist aus Sicht der Russen ein tit-for-tat auf Provokationen aus dem Westen.

Nee, nicht aus Sicht der Russen.
Sondern laut Darstellung der Russen. Du kannst genausowenig in die Köpfe der Russen reinschauen, ob sie ihre eigene Darstellung jemals geglaubt haben.

Ich tippe ja darauf, dass die Russen da Destabilisierung betrieben haben, wofür der recht korrupte ukrainische Staat auch sehr anfällig war, und die Russen haben ihre Propaganda so intensiv betrieben, dass viele beteiligte Russen das am Ende zu 100% geglaubt haben, selbst da, wo nur 5% gestimmt haben.
Die aufrichtig klingende Empörung ist damit gut erklärbar, allerdings auch gut mit "ideologischer Festigung" a.k.a. Gehirnwäsche in einem Schulungs- und Propagandazentrum, aber es kann ja dahingestellt bleiben: So oder so sind die behaupteten Kränkungen und Aggressionen in den allermeisten Fällen zusammengelogene Propaganda, auch wenn immer mal wieder ein wahrer Kern drinsteckt.
Gute Propaganda hat IMMER einen wahren Kern, mit dem überzeugt man die Neutralen. Erst wenn man sie von dieser Wahrheit überzeugt hat und sie Vertrauen in den Propagandisten haben, füttert der sie mit den Halbwahrheiten und den offenen Lügen.
Aus diesem Punkt fangen gute Propagandareden mit vernünftigen Sätzen an, denen die Zuhörer zustimmen können, und die schrägen und geradezu falschen Aussagen setzen erst in der zweiten Hälfte ein. Auch frühere TP-Artikel gab es gelegentlich mit diesem Aufbau, allerdings zu anderen Themen. In einem Fall klar erkennbar als bewusstes Manipulationsmittel, in anderen Fällen nicht so eindeutig und wohl eher unterbewusst aus einem Gefühl des "so kann ich die Leute am besten überzeugend" heraus.

Also, ich denke, du kommst ihm da viel zu sehr entgegen.
Wenn ich sage "ein Teil liegt in Osteuropa und der größte Teil gehört zu uns", dann ist das nicht Einflusssphären, sondern Aufteilung in Machtsphären und damit Beherrschung.

Das sieht für mich gerade zu sehr nach Schwarz-Weiß-Denken aus. Nur weil Russland auch weiterhin noch einen gewissen Einfluss in der Ukraine haben möchte, heißt das noch lange nicht, dass sie vollständig von Russland beherrscht wird, und kein eigener Nationalstaat sein kann.

Also, man kann "gehört zu uns" als Verbundenheit oder als Vereinnahmung deuten. Das ist schon richtig.
Aber die Vereinnahmung war auf jeden Fall als Möglichkeit vorgesehen. Schließlich ist das in "Was Russland mit der Ukraine tun sollte" klar ausformuliert, und da es über ein Staatsmedium gelaufen ist und obendrein zur Pflichtlektüre der russischen Offiziersausbildung gehört, können wir klar sagen, dass das Machwerk Putins Wille ausdrückt - und damit ist belegt, dass die Vereinnahmung zumindest angelegt war und es über kurz oder lang auch dazu gekommen wäre, weil jede Eigenständigkeit der "brüderlichen" Ukraine als Aufmucken interpretiert und mit verschärfter Repression beantwortet worden wäre.
Sehen wir doch an Weißrussland, wie das läuft, seit Lukaschenko in die Arme Russlands gestolpert ist; die sind da noch nicht bei der kulturellen Russifizierung angekommen, aber momentan wird die Souveränität von Belarus Stück für Stück demontiert. Ich bin sicher, die Russen werden irgendwann mit Vorgaben für das Schulwesen anfangen und dann beginnt die kulturelle Assimilation.

Nur weil wir in der NATO sind, und ein Bündnis mit Amerika haben, heißt das auch nicht, dass wir vollständig von den USA beherrscht werden, wo Du ja richtigerweise den Irakkrieg als Beispiel angeführt hast.

Ja, aber bei den USA hat das lockere Bündnis Tradition. Also, nicht wirklich locker, aber sie haben ein paar Mindeststandards und halten sich bei weiterer Einflussnahme sehr zurück; in Deutschland ist das die Atlantikbrücke, aber die Opposition zur Brücke wird ja nicht verfolgt oder unterdrückt, sondern es wird immer wieder lautstarke Kritik geäußert.

Bei den Russen sieht das doch anders aus. Wer nicht kuscht, wird in Grund und Boden gebombt, oder wird "umerzogen", sprich: kultureller und je nach Bedarf dann auch physischer Völkermord.
Keine Hemmungen. Totalitäres Durchgreifen.
Den Amis ist sowas wenigstens peinlich...

Also, das wird so einhellig so gesagt, dass ich denke, dass das nicht wortwörtlich drin steht, aber sich aus dem Text ergibt, aber du interpretierst die Sache lieber Putin-freundlich. Ich hab ja schon gesagt, dass es da Grenzen für geben muss, man kann nicht ständig Putin möglichst positiv interpretieren und seine Gegner möglichst negativ.

Tut mir leid, aber ich finde Du lavierst hier gerade ziemlich herum.

Du nimmst einen interpretationsfähigen Text und legst ihn russlandfreundlich aus, ich lege ihn russlandkritisch aus und belege das auch mit anderen Indizien, und du sprichst von "herumlavieren"?

Nee, sorry, so nicht.

Und damit soll es auch gut sein. Ich denke, wir haben unsere Standpunkte ausgetauscht und werden die andere Seite nicht überzeugen, allmählich beginnt es sich zu wiederholen und da brauchen wir nicht weitermache.

Ich bedanke mich für die weitgehend faire Diskussion und die Möglichkeit, meine eigenen Standpunkte nachzuschärfen und deine Interpretation kennenzulernen, und wünsche ansonsten einen schönen Tag.

Bewerten
- +
Ansicht umschalten