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  • Pnyx (1)

mehr als 1000 Beiträge seit 01.07.2017

zu kurz gesprungen

Grundsätzlich kann man Nowak danbar sein, dass er dieses Thema aufgreift. Allerdings reicht seine Analyse nicht bis zum eigentlichen Knackpunkt.

All diese Protestbewegung sind fast ausschliesslich negativ definiert. Sie sind sich einig, dass sie bestimmte Personen mit gewissen Verhaltensmustern nicht mehr wollen. Meist steht das Thema Korruption im Vordergrund. In gewissen Fällen, wie etwa in Chile spielen immerhin auch Missstände in bestimmten konkreten Bereichen eine Rolle, dort etwa im Bildungswesen. Wirklich aktiviert wird die Massenbewegung aber regelmässig von dem, was Brecht das 'Fressen' nannte, das vor der Moral komme. Die Einkommens- und damit Lebensverhältnisse der protestierenden Massen sind generell völlig unzureichend oder haben sich in den letztvergangenen Jahren langsam oder auch sehr schnell deutlich verschlechtert und auch die weiteren Aussichten sind deprimierend. Da kann dann eine Massnahme, etwa eine deutliche Spritpreiserhöhung, von der man weiss, dass sie alles teurer macht, zum Detonator werden.

Woran es überall mangelt, ist eine Vorstellung davon, wie es denn anders werden soll. Besser soll es werden, viel besser - aber wie? Die Korruptionsursachen sind strukturell, die Vorstellung, die Auswechslung der Führung wirke reinigend naiv. In der Praxis gelangen einfach andere an die Töpfe. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Neuen genau so oder nicht gross anders weiterstümpern und sich weder an den Lebensverhältnissen, noch an der Korruption gross etwas ändert, ist ausnehmend hoch.

In einzelnen Fällen wird ein repressives Regime durch ein etwas permissiveres ersetzt. Die gesellschaftlich geatmete Luft wird angenehmer. Das kann einen kleinen Boom auslösen, ein Strohfeuer, das schnell wieder erlöscht. Die ökonomische Situation für die grosse Masse kann sich sogar verschlechtern, weil typischerweise erst recht ein wirtschaftsliberales System durchgesetzt wird (Ausnahme Chile, neoliberaler als jetzt geht nicht).

Das ist das Problem an den führerlosen Aufständen. Wenn sie nicht unter die repressiven Räder kommen, werden sie gelegentlich vom lokal vorhandenen politischen Spektrum adoptiert. Nichts, oder nur sehr wenig, ist gewonnen. Es kann noch schlimmer sein, wie das Beispiel Hongkong zeigt, wo Unzufriedene instrumentalisiert werden um den Staat zu schwächen, gegen den fremde Akteure auf allen Ebenen aufrüsten. Dies eine weitere grundsätzliche Problematik führerloser Aufstände - sie sind meist leicht von ausländischen Interessen kaperbar. Ein weiteres gutes Beispiel dafür ist der Iran. Ich zweifle nicht an autochthonen Missständen, aber wer bei Unruhen dort nicht auch die lange Hand des Imperiums wahrnimmt, hat politische Sehstörungen.

Problematisch ist auch die ausgeprägte Destruktivität, die, ist man selbst betroffen, aufs Schärfste als Vandalismus verurteilt wird, während sie in Ländern mit missliebiger Regierung zum Zeichen unbändiger Freiheitsverlangens umgedeutet wird. Die Zerstörung öffentlicher Infrastruktur, aber auch die womöglich nach ethnischen Kriterien erfolgende Privateigentums ist nicht an sich eine revolutionäre Tat, sondern reaktionär, wenn damit nicht einem wohldefinierten und primär kurzfristig erreichbaren genuin revolutionären Ziel - also nicht nur formale Änderungen - gedient wird. Ist dies nicht der Fall - und es ist in all den aktuellen mehr oder weniger führerlosen Aufständen nirgends der Fall -, handelt es sich um nihilistische Saubannerzüge, die nichts anderes bewirken, als die allgemeine Bevölkerung zu schädigen und staatliche Repression zu legitimieren.

Kurz, man kann, auch in Fällen mit äusserst kritikabler Staatsführung, an diesen Explosionen ziviler Unzufriedenheit, Verzweiflung wenig Progressives erkennen, so lange nicht klar ist, wohin das alles führen soll. Man muss die aktuellen Unruhen daher eher als Anzeichen des Kollapses der sogenannten Weltordnung sehen. Als solche mögen sie, unter Berücksichtigung der Tatsache, dass diese drauf und dran ist, der Menschheit den ökologischen Boden unter den Füssen wegzuziehen, in allgemeiner Form als Vorschein einer Hoffnung gedeutet werden - was allerdings gewagt ist.

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (02.12.2019 17:09).

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