Tloen schrieb am 4. Mai 2003 8:32
> Zunächst ein großes Lob. Ein ausgezeichneter Artikel! Welch ein
> Niveauunterschied zu dem, was der Autor in TAZ, ZEIT, Tagesspiegel et
> al. verlinked hat *schüttel*
Ein paar kleine Kritikpunkte habe ich schon, z.B. denke ich nicht,
daß Deutschlands Außenpolitik genuin anders verlaufen würde, wenn die
Schwarzen dran wären. Aber ansonsten: *SO* was will ich lesen, das
kenn' ich vom Studium her und die Qualität stimmt auch. TP ist schon
ein komisch Ding, wo derartige first class Artikel neben dem
Pubertärgeblubber von Hammerschmidt und Corinth friedlich miteinander
koexistieren können.
> Man wird sehen, ob sich die Achse Paris-Berlin-Moskau(-Peking?) als
> Machtgegengewicht zur USA etablieren kann und der so erzeugte
> Großraum, dann auf den Rest Europas "zurückstrahlt" und welche
> Konsequenzen dies hat.
"Zusammen sind wir unausstehlich" kommt mir da immer in den Sinn. Um
die neue Triple-Entente zusammenzuhalten, wird einiges an Arbeit
nötig sein. Welche Sprache wird man sich z.B. für die
zwischenstaatlichen Konsultationen aussuchen? Am Besten wäre
natürlich Latein, aber das ist nur so ein frommer Wunsch von mir.
Nach welchen Richtlinen soll die neue Elite ausgebildet werden? Alles
so Fragen, die man sich stellen muß.
> Man sollte sich nur gegenwärtig klar machen, dass er keine
> "Identität" besitzt, sondern eine Differenz ist. Die USA ist die
> Identität, Eurasien ist eine Differenz.
Die VSA haben eine Fahne, eine Sprache, eine Hymne, eine Armee und
einen Gott. Und über allem die persönliche GIER: Alles Dinge, auf die
ich leicht verzichten kann. Stattdessen will ich lieber viele
Sprachen, viele Hymnen sowie viele Menschen, die viele Sprachen und
viele Hymnen kennen und verstehen. Den Gott brauchen wir auch nicht
und statt der Armee tuts auch ein dichter Igelpelz: Das sind die
Gemeinsamkeiten, auf denen man ein Europa vom Atlantik bis zum Ural
bauen kann: Laßt uns friedlich miteinander wetteifern, lernen und
Handel treiben, aber wenn uns einer aus der Ferne dumm von der Seite
anmacht, soll er sich an uns die Zähne ausbeissen.
> Das ist fast so als würde es
> darum gehen, ein systemisches oder metaphysisches Gleichgewicht
> herzustellen. Die Chinesen können so etwas zumindest begreifen, ob
> aber die Europäer es verstehen, die eher dazu neigen, analog zur USA,
> ein positives Ideal zu verabsolutieren, da bin ich nicht so sicher.
Es gibt m.E. durchaus positive Ideale, die es sich lohnt zu
verabsolutieren. Einer Lehre der Beliebigkeit möchte ich mich nicht
hingeben. Der Unterschied ist: Lebe Dein Ideal durch Vorbild im
eigenen Land, ermögliche anderen, bei Dir das Ideal zu erfahren. Aber
unterlasse es tunlichst, Dein Ideal dem anderen aufs Auge zu drücken.
Qualität setzt sich langfristig immer durch. Fördere hierbei den
Austausch: Wenn DE, FR, RU sich darauf verständigen könnten, ein
Programm mit 1000 Studenten p.a. aufzulegen, daß für jeweils ein Jahr
in Landessprache in den beiden "fremden" Ländern stattfindet, das
wäre schon mal ein Anfang.
> Natürlich schließt sich die Frage an, welcher Identität dann die
> Differenz entspricht, aber des ist einfach und wurde ja auch schon
> als "Gleichgewicht" oder "Balance" bezeichnet, die genau der
> Differenz Spielraum gibt. Es muss also gerade nicht etwas "Ganz
> Anderes" sein, sondern es ist von vornherein eine Pluralität, die
> sich darauf einigt, die Identität auszublancieren, die sich selbst
> schon als Pluralität versteht, aber nicht als solche wirksam ist.
Die Differenz IST die Identität. Wenn man denn gelernt hat, das auch
zu akzeptieren: Akzeptiere, daß der Russe Wodka, der Franzose Rotwein
und der Deutsche Bier trinkt. Akzeptiere, daß Frankreich ein
Zentralstaat und Deutschland ein Föderalstaat ist, die Russen eine
lustige Mischform praktizieren, eher aber föderal. Versuche Die Kunst
der Wodkaherstellung, die Tradition des Weinbaus und die Geschichte
des Bierbrauens zu verstehen. Beginne stets mit dem, was Du noch
nicht kennst. Und am Ende wirst Du feststellen, daß alles drei einen
heftigen Kater verusachen kann. Jetzt transzendiert: Daß am Ende nur
ganz einfache Menschen übrigbleiben. Sie mögen verschieden in Denken
und Handeln sein, aber die Bedürfnisse sind die Gleichen.
> Man kann also nur hoffen, dass der europäische Nihilismus und
> Skeptizismus, noch nicht ganz verbraucht ist und der gegenwärtige
> Anti-Amerikanismus nicht wieder in eine positive Wesensaussage
> zurückkippt.
Au contraire. Ich hoffe sehr stark auf eine positive Wesensausage.
Eines der wenigen Beispiele, die nicht nur positiv sondern auch
positiv im Sinne von: "gut" sind, mag die Abschaffung der Todesstrafe
als Aufnahmekriterium für die EU sein. Eine mächtige Gruppe von
Skeptikern und Nihilisten brauchen wir trotzdem weiterhin, weil sie
die Kontroll- und Prüfinstanz für ebenjene gemeinsamen Werte sein
könnte: Defätisten an die Front, die sollen auch mal was schaffen.
Und eine solche Wesensaussage sollten wir nur bei uns verwirklichen,
wenn darüber denn Konsens herrscht. Exportieren sollten wir sie
nicht.
> Wir sind viele.
Wir sind viele verschiedene.
mfG, yossarian
> Zunächst ein großes Lob. Ein ausgezeichneter Artikel! Welch ein
> Niveauunterschied zu dem, was der Autor in TAZ, ZEIT, Tagesspiegel et
> al. verlinked hat *schüttel*
Ein paar kleine Kritikpunkte habe ich schon, z.B. denke ich nicht,
daß Deutschlands Außenpolitik genuin anders verlaufen würde, wenn die
Schwarzen dran wären. Aber ansonsten: *SO* was will ich lesen, das
kenn' ich vom Studium her und die Qualität stimmt auch. TP ist schon
ein komisch Ding, wo derartige first class Artikel neben dem
Pubertärgeblubber von Hammerschmidt und Corinth friedlich miteinander
koexistieren können.
> Man wird sehen, ob sich die Achse Paris-Berlin-Moskau(-Peking?) als
> Machtgegengewicht zur USA etablieren kann und der so erzeugte
> Großraum, dann auf den Rest Europas "zurückstrahlt" und welche
> Konsequenzen dies hat.
"Zusammen sind wir unausstehlich" kommt mir da immer in den Sinn. Um
die neue Triple-Entente zusammenzuhalten, wird einiges an Arbeit
nötig sein. Welche Sprache wird man sich z.B. für die
zwischenstaatlichen Konsultationen aussuchen? Am Besten wäre
natürlich Latein, aber das ist nur so ein frommer Wunsch von mir.
Nach welchen Richtlinen soll die neue Elite ausgebildet werden? Alles
so Fragen, die man sich stellen muß.
> Man sollte sich nur gegenwärtig klar machen, dass er keine
> "Identität" besitzt, sondern eine Differenz ist. Die USA ist die
> Identität, Eurasien ist eine Differenz.
Die VSA haben eine Fahne, eine Sprache, eine Hymne, eine Armee und
einen Gott. Und über allem die persönliche GIER: Alles Dinge, auf die
ich leicht verzichten kann. Stattdessen will ich lieber viele
Sprachen, viele Hymnen sowie viele Menschen, die viele Sprachen und
viele Hymnen kennen und verstehen. Den Gott brauchen wir auch nicht
und statt der Armee tuts auch ein dichter Igelpelz: Das sind die
Gemeinsamkeiten, auf denen man ein Europa vom Atlantik bis zum Ural
bauen kann: Laßt uns friedlich miteinander wetteifern, lernen und
Handel treiben, aber wenn uns einer aus der Ferne dumm von der Seite
anmacht, soll er sich an uns die Zähne ausbeissen.
> Das ist fast so als würde es
> darum gehen, ein systemisches oder metaphysisches Gleichgewicht
> herzustellen. Die Chinesen können so etwas zumindest begreifen, ob
> aber die Europäer es verstehen, die eher dazu neigen, analog zur USA,
> ein positives Ideal zu verabsolutieren, da bin ich nicht so sicher.
Es gibt m.E. durchaus positive Ideale, die es sich lohnt zu
verabsolutieren. Einer Lehre der Beliebigkeit möchte ich mich nicht
hingeben. Der Unterschied ist: Lebe Dein Ideal durch Vorbild im
eigenen Land, ermögliche anderen, bei Dir das Ideal zu erfahren. Aber
unterlasse es tunlichst, Dein Ideal dem anderen aufs Auge zu drücken.
Qualität setzt sich langfristig immer durch. Fördere hierbei den
Austausch: Wenn DE, FR, RU sich darauf verständigen könnten, ein
Programm mit 1000 Studenten p.a. aufzulegen, daß für jeweils ein Jahr
in Landessprache in den beiden "fremden" Ländern stattfindet, das
wäre schon mal ein Anfang.
> Natürlich schließt sich die Frage an, welcher Identität dann die
> Differenz entspricht, aber des ist einfach und wurde ja auch schon
> als "Gleichgewicht" oder "Balance" bezeichnet, die genau der
> Differenz Spielraum gibt. Es muss also gerade nicht etwas "Ganz
> Anderes" sein, sondern es ist von vornherein eine Pluralität, die
> sich darauf einigt, die Identität auszublancieren, die sich selbst
> schon als Pluralität versteht, aber nicht als solche wirksam ist.
Die Differenz IST die Identität. Wenn man denn gelernt hat, das auch
zu akzeptieren: Akzeptiere, daß der Russe Wodka, der Franzose Rotwein
und der Deutsche Bier trinkt. Akzeptiere, daß Frankreich ein
Zentralstaat und Deutschland ein Föderalstaat ist, die Russen eine
lustige Mischform praktizieren, eher aber föderal. Versuche Die Kunst
der Wodkaherstellung, die Tradition des Weinbaus und die Geschichte
des Bierbrauens zu verstehen. Beginne stets mit dem, was Du noch
nicht kennst. Und am Ende wirst Du feststellen, daß alles drei einen
heftigen Kater verusachen kann. Jetzt transzendiert: Daß am Ende nur
ganz einfache Menschen übrigbleiben. Sie mögen verschieden in Denken
und Handeln sein, aber die Bedürfnisse sind die Gleichen.
> Man kann also nur hoffen, dass der europäische Nihilismus und
> Skeptizismus, noch nicht ganz verbraucht ist und der gegenwärtige
> Anti-Amerikanismus nicht wieder in eine positive Wesensaussage
> zurückkippt.
Au contraire. Ich hoffe sehr stark auf eine positive Wesensausage.
Eines der wenigen Beispiele, die nicht nur positiv sondern auch
positiv im Sinne von: "gut" sind, mag die Abschaffung der Todesstrafe
als Aufnahmekriterium für die EU sein. Eine mächtige Gruppe von
Skeptikern und Nihilisten brauchen wir trotzdem weiterhin, weil sie
die Kontroll- und Prüfinstanz für ebenjene gemeinsamen Werte sein
könnte: Defätisten an die Front, die sollen auch mal was schaffen.
Und eine solche Wesensaussage sollten wir nur bei uns verwirklichen,
wenn darüber denn Konsens herrscht. Exportieren sollten wir sie
nicht.
> Wir sind viele.
Wir sind viele verschiedene.
mfG, yossarian