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mehr als 1000 Beiträge seit 12.04.2002

Kein Betrug! Nur eine andere Auffassung von der Geschichte als [allzu] üblich...

Eiffel schrieb am 17. Juli 2003 23:35

> Habe einen Teil aus seinem Buch gelesen. Das ist wohl das Verlogenste
> und gleichzeitig am besten Kaschierte, was ich zum Thema gelesen
> habe. Er mischt Tatsachen mit Verdrehungen, Behauptungen und
> absichtlich falschen Interpretationen, und nimmt sogar einen so
> perversen Verbrecher wie Hitler in Schutz. Ich kann nur Allen raten,
> nie einen Blick in dieses absurde Gewäsch zu werfen. Mir ist völlig
> schleierhaft, warum es überhaupt legal ist, so etwas zu publizieren.

Liebe/r Eiffel,

eigentlich kann man sich nicht recht gut mit jemandem über ein Buch
unterhalten, der selber von sich sagt: Habe einen Teil daraus
gelesen...

In dem Teil, den Du gelesen hast, wurde also Deine Gesamtsicht nicht
bestätigt; oder anders ausgedrückt: Es gab nur eine kleinere
Schnittmenge zwischen dem, was auch Du als "Tatsachen" anerkennst und
dem, was Du in diesem Buch gelesen hast.

Offensichtlich führt Diwald also überwiegend Umstände oder
Zusammenhänge rund um die auch von Dir anerkannten "Tatsachen" an,
die Dir bisher nicht -oder doch zumindest nicht so- begegnet sind.
Das nennst Du Tatsachen mit "Behauptungen" und "Verdrehungen"
mischen.

Auch die von Dir gelesenen Interpretationen Diwalds stimmen
offensichtlich mit den Deinen nicht überein. Das nennst Du dann
"absichtlich falsche" Interpretationen.

Audiatur et altera pars: Auch die andere Seite ist anzuhören. Was wir
Deutschen nun nach dem Zweiten Weltkrieg hauptsächlich zu hören
bekommen haben, ist aber die Sicht der Alliierten: plump und daher
viel leichter durchschaubar in der DDR, wesentlich raffinierter im
Westen. Daß schon von Anfang an die Westalliierten (allen voran
tatsächlich die Amerikaner) die öffentliche Meinung sich nicht etwa
unabhängig entwickeln ließen, sondern der Bevölkerung ihre Sicht der
Dinge gezielt verpaßt haben, läßt sich anhand der WDR-Dokumentation
"Germany - made in USA" innerhalb von einer dreiviertel Stunde
ausgezeichnet nachvollziehen. Ob es uns gefällt oder nicht, ob wir es
wahrhaben wollen oder nicht, wir haben über die Jahrzehnte hinweg so
oft und fast so ausschließlich gelehrt bekommen, was wir ihrer
Meinung nach aus der Geschichte der ersten Hälfte des 20sten
Jahrhunderts zu lernen haben, daß es uns im politischen Dämmerschlaf
des Kalten Krieges anscheinend mehrheitlich in Fleisch und Blut
übergegangen ist.

Zweck meiner Leseempfehlung war -und ist- es deshalb, dem dominanten
Blick auf die jüngere Geschichte einen anderen, seltener
wahrzunehmenden gegenüberzustellen, auf daß ein jeder, der mit seinem
Weltbild noch nicht "fertig" ist, Gelegenheit erhalten möge, sich ein
paar neue, ungewohnte Fragen zu stellen.

Daß die geistige Bevormundung hierzulande nicht so weit geht (und so
plump daherkommt), unbequeme Bücher der Zensur auszuliefern (wo es
doch viel eleganter und dennoch beinahe ebenso effektiv ist, sie
einfach totzuschweigen), und also auch Hellmut Diwalds "Deutschland
einig Vaterland" publiziert werden konnte (immerhin ist Diwald bis zu
seiner regulären Emeritierung ordentlicher Professor für Mittlere und
Neuere Geschichte gewesen), läßt der geistigen Freiheit immerhin ein
kleines Reservat, das man umso intensiver nutzen sollte. Darum
wünsche ich (u.a.) diesem Buch (das es noch immer ganz normal im
Buchhandel oder über Amazon zu kaufen gibt) noch recht zahlreiche
Leser!
[Leider sind nicht mehr alle Werke anderer Autoren lieferbar, denen
ich ebenso viele (oder sogar noch mehr) Leser wünschte - bzw. sind
nur noch in Bibliotheken oder antiquarisch zu haben; was auch ein Weg
ist, lästige Gedanken möglichst unauffällig zu halten: Titel
vergriffen, Neuauflage nicht geplant!)]

Aber vielleicht bist Du ja auch einfach nicht bereit, Dir neue,
ungewohnte Fragen zu stellen? Nicht bereit, ein Buch, das andere
Ansichten vertritt als Deine gewohnten, überhaupt komplett zu lesen?

"Zeitgeist zu besitzen, ist sehr beliebt. Es ist der einzige Geist,
der nicht weh tut." ???
(aus: „Halleluja“ von Joachim Fernau: auch so ein unbequemer Autor.)

Noch zu Hitler: Natürlich hat er alles dafür getan, daß man ihn ohne
weiteres einen "perversen Verbrecher" nennen kann. Aaaaber: dies
allein macht nicht seine ganze geschichtliche Rolle aus. Dazu -und
überhaupt zu unserem Thema- habe ich im Forum ein in der Tat
bemerkenswertes Zitat gefunden:

"Wir machten aus Hitler ein Monstrum, einen Teufel. Deshalb konnten
wir nach dem Krieg auch nicht mehr davon abrücken. Hatten wir doch
die Massen gegen den Teufel persönlich mobilisiert. Also waren wir
nach dem Krieg gezwungen, in diesem Teufelsszenario mitzuspielen. Wir
hätten unmöglich unseren Menschen klarmachen können, daß der Krieg
eigentlich nur eine wirtschaftliche Präventivmaßnahme war!"
James Baker, ehemaliger US-Außenminister (Quelle: DER SPIEGEL, 13/92)

Liebe/r Eiffel, immerhin hast Du ja überhaupt in einem Buch gelesen,
das offensichtlich gehöriges Mißbehagen bei Dir ausgelöst hat. Das
spricht doch sehr dafür, daß Du nicht zu denen gehörst, die ein für
alle mal mit ihrem Weltbild „fertig“ sind und die ich zu der Fraktion
jener zu zählen geneigt bin, die es vorziehen, ein menschlicher Lurch
zu bleiben:
"Sie glauben doch nicht im Ernst, daß sich bei Ihnen eine
Menschwerdung vollziehen wird, wenn Sie nicht eine Hand rühren, um
die Welt für sich noch einmal nachzuschöpfen? Ich wiederhole Ihnen,
Sie Tropf, nur so findet jede wirkliche Menschwerdung statt. Alle
andern bleiben Lurche." (aus: „Die jungen Männer“ auch von Joachim
Fernau)

Du hast es sicherlich längst erraten, auch Fernau gehört zu den
Autoren, die ich gern empfehle. Zum Beispiel kann er gut erklären,
was Geschichtsbetrachtung ist - oder besser sein sollte. Einen Auszug
findest Du hier:

http://www.heise.de/tp/foren/go.shtml?read=1&msg_id=2510228&forum_id=35126

… und falls Dir das Appetit gemacht haben sollte, das ganze
„Abenteuer geschichtlichen Denkens“ findest Du hier:

http://www.cybcity.com/edges/Fernau-Abenteuer.zip

In diesem Sinne
cui bono


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