Aus "Deutschland einig Vaterland. Geschichte unserer Gegenwart" von
Hellmut Diwald, erschienen 1990 bei Ullstein:
Kein Friede, ein Waffenstillstand
Die bestimmenden Momente der inneren und äußeren Situation
Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg wurden durch die Versailler
Vertragsregelungen geschaffen. In Versailles verhandelten aber nicht
die Gewinner des Krieges mit den Verlierern über die Bedingungen
eines Friedensvertrages. In Versailles hatten sich vielmehr die
Sieger aufgrund ihrer militärischen Macht selbst zu Richtern ernannt.
Sie erklärten die Besiegten zu Angeklagten und beschuldigten sie des
größten Verbrechens der Geschichte. Gegen die Delinquenten wurde in
Abwesenheit verhandelt. Sie erhielten keine Gelegenheit, sich zu
verteidigen. Der Urteilsspruch wurde als Ultimatum überreicht.
Gewöhnlich werden die Friedensvereinbarungen von 1919 zwischen den
Gegnern des Ersten Weltkrieges als "Versailler Vertrag" bezeichnet.
Doch ein Vertrag kommt durch zweiseitige Verhandlungen zustande. Die
440 Artikel des Versailler Dokuments diktierten allein die Sieger.
Die deutsche Regierung wurde durch Ultimatum zur Unterschrift
gezwungen. Sie mußte im Artikel 231 ohne Diskussion und ohne jeden
Vorbehalt unterschreiben, daß Deutschland samt seinen Verbündeten als
Urheber des Krieges, den es den "alliierten und assoziierten
Regierungen" aufgezwungen hätte, für alle Verluste und Schäden
verantwortlich sei.
Die rechtliche Grundlage aller Verträge, auch von Staats- und
Friedensverträgen, sind seit alters die Prinzipien der freien
Übereinkunft und von "Treu und Glauben". Der Rechtsgrundsatz von Treu
und Glauben fordert von jedem ein Verhalten, das "von redlich und
anständig denkenden Menschen unter gegebenen Umständen an den Tag
gelegt würde". Zweifellos drückt sich in einem Friedensvertrag auch
die unterschiedliche Lage des Siegers und des Besiegten aus. Trotzdem
-oder vielmehr gerade deshalb[-] entbindet der erfolgreich beendete
Krieg den Sieger nicht von der Pflicht, das Völkerrecht einzuhalten.
Ein Friedensvertrag, dessen Abschluß durch Androhung von Gewalt
erzwungen wird, ist ungültig, weil eine derartige Nötigung das
Völkerrecht gröblichst verletzt. Das galt 1919, das gilt 1990.
...
Das ganze Buch ist ungeheuer hilfreich beim Versuch, die eigenen
Lehren aus der deutschen Geschichte zu ziehen: Statt sich blind der
Deutung der jeweiligen Siegermächte anzuvertrauen -im Westen als
"re-education" bekannt- sollte man wenigstens mal eine alternative
Sicht kennenlernen und sich dann selbst ein Bild machen können.
Hellmut Diwald, erschienen 1990 bei Ullstein:
Kein Friede, ein Waffenstillstand
Die bestimmenden Momente der inneren und äußeren Situation
Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg wurden durch die Versailler
Vertragsregelungen geschaffen. In Versailles verhandelten aber nicht
die Gewinner des Krieges mit den Verlierern über die Bedingungen
eines Friedensvertrages. In Versailles hatten sich vielmehr die
Sieger aufgrund ihrer militärischen Macht selbst zu Richtern ernannt.
Sie erklärten die Besiegten zu Angeklagten und beschuldigten sie des
größten Verbrechens der Geschichte. Gegen die Delinquenten wurde in
Abwesenheit verhandelt. Sie erhielten keine Gelegenheit, sich zu
verteidigen. Der Urteilsspruch wurde als Ultimatum überreicht.
Gewöhnlich werden die Friedensvereinbarungen von 1919 zwischen den
Gegnern des Ersten Weltkrieges als "Versailler Vertrag" bezeichnet.
Doch ein Vertrag kommt durch zweiseitige Verhandlungen zustande. Die
440 Artikel des Versailler Dokuments diktierten allein die Sieger.
Die deutsche Regierung wurde durch Ultimatum zur Unterschrift
gezwungen. Sie mußte im Artikel 231 ohne Diskussion und ohne jeden
Vorbehalt unterschreiben, daß Deutschland samt seinen Verbündeten als
Urheber des Krieges, den es den "alliierten und assoziierten
Regierungen" aufgezwungen hätte, für alle Verluste und Schäden
verantwortlich sei.
Die rechtliche Grundlage aller Verträge, auch von Staats- und
Friedensverträgen, sind seit alters die Prinzipien der freien
Übereinkunft und von "Treu und Glauben". Der Rechtsgrundsatz von Treu
und Glauben fordert von jedem ein Verhalten, das "von redlich und
anständig denkenden Menschen unter gegebenen Umständen an den Tag
gelegt würde". Zweifellos drückt sich in einem Friedensvertrag auch
die unterschiedliche Lage des Siegers und des Besiegten aus. Trotzdem
-oder vielmehr gerade deshalb[-] entbindet der erfolgreich beendete
Krieg den Sieger nicht von der Pflicht, das Völkerrecht einzuhalten.
Ein Friedensvertrag, dessen Abschluß durch Androhung von Gewalt
erzwungen wird, ist ungültig, weil eine derartige Nötigung das
Völkerrecht gröblichst verletzt. Das galt 1919, das gilt 1990.
...
Das ganze Buch ist ungeheuer hilfreich beim Versuch, die eigenen
Lehren aus der deutschen Geschichte zu ziehen: Statt sich blind der
Deutung der jeweiligen Siegermächte anzuvertrauen -im Westen als
"re-education" bekannt- sollte man wenigstens mal eine alternative
Sicht kennenlernen und sich dann selbst ein Bild machen können.