Ansicht umschalten
Avatar von
  • unbekannter Benutzer

377 Beiträge seit 03.05.2002

Wurzel des Übels

Da versucht man an allen möglichen Ecken und Enden des Schulsystems
herumzudoktorn, um es zu verbessern und es nutzt alles nicht viel. So
wenig, daß das Schulsystem sogar auch noch diese PISA-Quittung
erhält. Vorher konnte man ja noch denken "ist alles wohl nicht
optimal, aber Deutschland hat wenigstens ein vergleichsweise gutes
Bildungssystem".

Ich denke, daß nun mit größerem Druck dies und das verbessert wird.
Das wird vermutlich auch funktionieren, aber wieder nicht mehr
bringen, als eine gewisse Verbesserung, vielleicht aufschließen zum
Niveau anderer Länder.

Aber es fragt sich wohl niemand, warum man ein bestimmtes Niveau mit
unserem System nicht durchbrechen kann...

Wie sieht unser System denn aus?
Die Grundlage unseres Schulsystems sind die Forderungen von
Gesellschaft und Eltern.

Die Gesellschaft will
 - Kein Chaos
 - Weiterführung der erfolgreichen Wirtschaft
 - Rentenzahler
 - Erhaltung der Kultur von gestern

Die Eltern wollen
 - Daß sich das Kind im System so unterordnet, daß es ein gutes
Auskommen hat (nicht ewig mit Problemen und/oder Geldmangel auf der
Tasche liegt)
 - Daß sie möglichst stolz auf ihr Kind sein können (kann man dann
der eigenen Erzeihung zuschreiben)

Folgerichtig ergibt sich aus diesen Forderungen unser
BildungsPFLICHTsystem. Es wird dadurch definiert und so ist es halt
auch. Über mangelnde Zukunftsfähigkeiten darf man sich dann nicht
beklagen, wenn man mit diesem System von Forderungen einverstanden
ist. ABER ohne kontinuierliche Weiterentwicklung, möglichst an der
Spitze, ist unser Wohlstand gar nicht zu halten. Aber das zu
verstehen sind die meisten Menschen gar nicht bereit, denn 1. die
alten Regeln hatten ja früher auch funktioniert und 2. man müßte
sonst ja eingestehen, daß man selbst nicht ausreichend gut für die
Zukunft gebildet ist. Gelegentliche Anmerkungen von wegen
lebenslanges lernen verhallen ohne begriffen zu werden.

Ich kann nur sagen: Ist absolut kein Wunder, daß Quantensprünge nicht
zu erwarten sind. Die Forderungen von Gesellschaft und Eltern halte
ich für beschränkend, weil das Ziel festgelegt ist, ohne daß es
überhaupt richtig inhaltlich definiert wäre. Eine sorgfältige
inhaltliche Definition wäre wenigstens nötig, um mit
wissenschaftlichen Mitteln das System zu optimieren, somit ist selbst
diesem Weg der Erfolg begrenzt. Aber das ist veilleicht auch ganz gut
so, denn vielleicht ändert sich dadurch ja wirklich mal was
grundlegenderes... na ja, schwache Hoffnung...


 * Das einzige was die Situation grundlegend ändern könnte *

Die Grundlage des Systems völlig neu denken. Oben aufgelistete
Forderungen einfach über Bord werfen.

Als Grundlage eines neuen Systems würde ich vorschlagen:
 - Der Staat bietet seinen Bürgern BildungsMÖGLICHKEITEN, ein Recht
auf Bildung.
 - Kinder bekommen Vorschläge oder unverbindliche Empfehlungen, was
sie lernen sollten.

Das reicht eigentlich schon. Davon ausgehend kann man ein optimales
Bildungssystem erstellen, was man sich etwa so vorstellen kann:

Kinder genauso wie jeder erwachsene Bürger kann sich über die
Angebote informieren und nutzen.
Jeder kann eigene Interessen entwickeln, sei es aufgrund
eigenständigen Denkens oder angeregt durch das Bildungsangebot oder
aufgrund von Notwendigkeiten im alltäglichen Leben. Ich bin davon
überzeugt, daß jeder auch irgendwelche Interessen findet. Das
Bildungsangebot muß natürlich auch nach der Nachfrage konstruiert
sein. Wenn also z.B. ein Kurs "Kritikfähigkeit gegenüber Medien und
wirtschaftliche Hintergründe" angeboten wird, wird auch ein
Fernsehjunkie vielleicht mal die Hintergründe seines Konsumobjekts
genauer herausbekommen wollen, weil er sich sonst zumindest weiterhin
fragen müßte, an welchen fremden Fäden er denn womöglich gelenkt
wird.

Lehrer im herkömmlichen Sinne wird man kaum noch brauchen, weil das
einer effizienten Struktur widerspräche. Eine effiziente Struktur
kann einfach nicht darauf aufbauen, daß zu ein und demselben Thema
zigtausende Leherer ihr eigenes Lehrsüppchen kochen. Da ist es doch
sehr viel sinnvoller, daß sich ca. 2 bis 4 kleine Gruppen der besten
Experten zum Thema zusammensetzen und das Thema sorgfältig
aufbereiten. Da kann man dann auch mit größerem Aufwand drangehen,
weil das ja nur 2 bis 4 mal gemacht wird. Also: 2 bis 4 mal der
hundertfache Aufwand ist immer noch Kostengünstig. Die modernen
Medien müssen genutzt werden, um die so erarbeiteten Inhalte klar und
ansprechend zu transportieren. Natürlich müßten es verschiedene
Medien sein. Einer braucht halt eine graphische Repräsentation, ein
anderer hört besser dem gesprochenen Wort zu ein dritter braucht es
als Text oder Multimediaprogramm, so daß er das Tempo besser anpassen
kann u.s.w.

Ein Bildungskonsument kann sich so mit einem Thema beschäftigen: 
 - Konsum dieser Medien (wenn ihm das nicht verständlich erscheint,
kann er noch das Ergebnis einer der anderen Expertengruppen
ausprobieren)
 - Ein Dialog, in Gruppen. Dort kann man einfach hingehen, um über
die Themen zu diskutieren, Fragen loszuwerden, festzustellen, was man
noch nicht richtig kapiert hat. Da es nicht bewertet wird, kann man
auch "dumme" Fragen stellen oder hingehen, obwohl man eigentlich noch
nicht gut genug vorbereitet ist. Da ist auch nix böses bei, wenn man
sich schon vorher mal anhört, wie Menschen in ähnlicher
Bildungssituation über die Themen diskutieren, denn das motiviert
vielleicht erst, den Rest dazu zu lesen (bzw. anzuhören oder zu
sehen). Diese Gruppen könnten teilweise betreut werden.
 - Ein selbständigees oder gemeinsames Experimentieren mit dem Wissen
(Nutzungsmöglichkeiten von Laboren zu nicht(direkt)kommerziellen
Zwecken). Das Bildungssytem liefert Mittel und organisiert, daß man
jemanden oder Leute findet, mit dem man etwas ausprobieren möchte.
 - Ein Dialog mit einem Fachbetreuer, falls man nicht von den
vorhandenen Gruppen ausreichend profitiert, zu schüchtern ist oder
weiß ich was (z.B. Fragen hat, die über das Lehrangebot hinausgehen -
so können dann auch Anregungen für eine Weiterentwicklung des
Bildungsangebots transportiert werden). 
 - Ein Dialog mit einem allgemeinen Betreuer (auch anonym und mit
Schweigepflicht): Falls man Probleme mit sich selbst hat. Seien es
persönliche Probleme oder Probleme etwas zu kapieren. So kann jeder
auch versuchen herauszubekommen, warum ihm bestimmte Themen
unzugänglich sind, obwohl sie ihn augenscheinlich interessieren.
 - Ein Bildungsnachweissystem: Nicht jeder Arbeitgeber möchte oder
kann es selbst leisten, Wissen oder Können umfassend festzustellen.
Es darf kein allgemeines Bildung-Zertifikat geben, sondern nur
speziell Themenbezogene. Den potentiellen Arbeitgeber interssiert
sich beim Netzwerkadmninistrator vermutlich auch gar nicht dafür, ob
er die Geschichte des Mittelalters beherrscht. Mit den vorhandenen
Bildungsnachweisen kann man versuchen, sich zu bewerben; wenn das nix
wird, kann man versuchen herauszubekommen, was denn fehlt und sich
entsprechend weiterbilden, falls man einen Job in einem bestimmten
Bereich haben möchte.
 - Wenn man selbstständig arbeiten möchte, kann man Bildungsnachweise
als Werbung benutzen, man benötigt sie formal aber eigentlich nicht,
außer vielleicht in Berufen, denen die Gesellschaft - demokratisch
legitimiert - eine Zugangskontrolle auferlegt. Ein Arzt sollte z.B.
bestimmte Minimalfähigkeiten haben, um nicht in Ermangelung von
Wissen oder Fähigkeiten herumzupfuschen.

Nun wird mancher vielleicht einwenden: Da wird ja keiner mehr Mathe
lernen wollen, vielleicht sogar nicht mal richtig lesen. 
Aber das stimmt nicht. Durch Zwang funktioniert es ja meistens erst
recht nicht, wie die Performance unseres gegenwärtigen
Bildungssystems beweist (trotz Vorhandenseins von sehr viel Zwang
können 20% Prozent nicht mal klar den Inhalt von etwas gelesenm
verstehen *weia*). Nicht weil jemand dazu gezwungen wäre, sondern
weil er selbst eine Motivation dazu hat, und es für sich selbst
macht, lernt er. Daß man zum lernen von einer Sache auch eine
inhaltliche Motivation benötigt, vergessen die meisten einfach. Die
Vorstellung bei vielen ist wohl, daß man Wissen eintrichtern kann. 
Was ist denn mit dem Mathe-Uninteressierten, wenn er nicht nachprüfen
kann, ob er das richtige Wechselgeld bekommt oder die Bedingungen
eines Vertrages nicht verstehen kann? Auch Kinder wollen schon am
Wirtschaftsleben teilnehmen und werden schnell feststellen, welche
Fähigkeiten sie an sich vermissen. Wenn sie etwas älter werden, wird
ihnen immer bewußter, daß sie sich von Eltern und anderen
Abhängigkeiten abnabeln wollen (oder müssen), werden also ganz von
selbst anfangen zu überlegen, wie sie denn Geld verdienen könnten.
Eine bessere Anpassung an das, was gefragt ist, gibt es nicht. Und
das was man wirklich will, kann man i.a. auch erreichen, man braucht
evtl. nur länger dafür als andere, aber gegen manche
Fähigkeitsdefizite kann kein System der Welt anstinken. Das
vorgeschlagene System ist aber so flexibel, daß jeder seine
Fähigkeiten und seinen Platz finden wird.

Also: Einfach weg mit dem Zwang, der Rest ergibt sich fast von
selbst.

Oben habe ich nur nüchtern argumentiert, aber es wäre doch auch
schön, wenn man den Menschen nicht zu so großen Anteilen ihre
Kindheit vermiesen würde und das auch noch ohne Nutzen.

Bewerten
- +
Ansicht umschalten