Pressekritik durch Karl Kraus vor und im ersten Weltkrieg
Seminararbeit, 2000
29 Seiten, Note: noch keine
P H Paul-Philipp Hanske.
A: Zwei Zitate aus der Diplomarbeit. (als Teaser, danach im Text und im Zusammenhang(B))
Karl Kraus als erste Reaktion auf den Auspruch des I. Weltkriegs:
Er charakterisiert sie als Zeit, ,,in dergeschehenmuss, was man sich nicht mehrvorstellenkann, und könnte man es, es geschähe nicht."
Die Presse macht er für dieses kollektive Versagen der Vorstellungskraft verantwortlich: ,,Er [der Reporter] hat durch jahrzehntelange Übung die Menschheit auf eben jenen Stand der Phantasienot gebracht, der ihr einen Vernichtungskrieg gegen sich selbst ermöglicht."
B. Im Zusammenhang. (Absatz aus der Diplomarbeit)
2.2.5. Kriegsausbruch: Beredtes Schweigen und kryptische VorwürfeTimms bezeichnet Kraus als den bedeutendsten Kriegsgegner unter den deutschsprachigen Publizisten: ,,Die Fackel war die einzige deutschsprachige Zeitschrift, die schon vor 1914 dem Krieg gegenüber kritisch Stellung bezog und diese mit wachsender Vehemenz auch bis zum bitteren Ende behauptete."37
Nach Kriegsbeginn verfällt Kraus zunächst in Schweigen. Ähnlich wie seine Schweigephase 1933/34 konnten die Fackel-Leser dieses Nichtssagen durchaus interpretieren: In Zeiten der lautesten Propaganda fehlen dem Satiriker die Worte, da die Realität alles Fiktive in Krassheit nur übertrifft. Erst im Dezember erscheint Kraus' Reaktion auf den Krieg, das Essay ,,In dieser großen Zeit" (F404 1ff.). Es ist mit Sicherheit Kraus' kryptischstes publizistisches Erzeugnis. Es ist bezeichnend, dass ,,In dieser großen Zeit" der einzige publizistische Text Kraus' ist, der durchgehend kommentiert ist38.
Kraus greift im Titel ironisch den Allgemeinplatz der deutschsprachigen Intellektuellen auf39, der Krieg läute eine heroische Zeit ein. Kraus sieht diese Zeit naturgemäß anders. Er charakterisiert sie als Zeit, ,,in dergeschehenmuss, was man sich nicht mehrvorstellenkann, und könnte man es, es geschähe nicht." (F 404, 2) Dieser zunächst paradoxe Satz bezieht sich zunächst auf die Unvorstellbarkeit des Grauens dieses Weltkrieges - im November kam es in Frankreich zu den ersten Materialschlachten, spätestens seit der Marneschlacht gab man sich in den Mittelmächten nicht mehr der Illusion eines schnellen Sieges hin. Darüber hinaus greift der Satz einen Grundgedanken Kraus' wieder auf: Den Gegensatz von Phrase und Phantasie. Die Phantasie würde es allen Menschen ermöglichen, den Krieg so realistisch zu sehen, wie er. Könnten sich die Menschen eine Materialschlacht vorstellen, würde sie nicht stattfinden, so seine Überlegung. Die Presse macht er für dieses kollektive Versagen der Vorstellungskraft verantwortlich: ,,Er [der Reporter] hat durch jahrzehntelange Übung die Menschheit auf eben jenen Stand der Phantasienot gebracht, der ihr einen Vernichtungskrieg gegen sich selbst ermöglicht." (F 404, 9). Damit in Zusammenhang sieht er die Verblendung der Massen durch Propaganda: ,,Er [der Reporter] kann, da er ihr [der Menschheit] alle Fähigkeiten des Erlebnisses und dessen geistiger Fortsetzung durch diemaßlose Promptheitseiner Apparate erspart hat, ihr eben noch den erforderlichen Todesmut einpflanzen, mit dem sie hineinrennt. Er hat den Abglanz heroischer Eigenschaften zur Verfügung und seine mißbrauchte Sprache verschönt ein mißbrauchtes Leben [...]" (Ebd.)
C. Link:
https://www.grin.com/document/97677
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Vergleicht man das mit dem heutigen Zustand hat sich wenig geändert. Von der Kriegstreiberei im Vorfeld, über die Reaktion der Mainstreammedien. Neu sind höchstens die Blogger die freudig einen Krieg propagierten, eine Seite einnehmen und Ihre jeweils individuelle Gerechtigkeit ungefiltert zum Besten geben. 110 Jahre, Millionen von Toten, alles für die Katz? Haben wir nichts gelernt?
Wir sollten wenigstens in der Lage sein, eine neutrale Analyse von einer Kriegshetze zu unterscheiden. Und wir sollten so mutig oder besser gesagt: Wir sollten so selbstbewusst sein, die Hetzer vom Hof zu jagen. Selbstbewusst im Sinne von: Bewusst zu welchen Konsequenzen die Hetzerei für uns selbst führen wird.