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mehr als 1000 Beiträge seit 05.08.2000

"I was gratified to be able to answer promptly, ..."

Xenomorph schrieb am 25. November 2002 12:12

> Bei dem ganzen Weltmachtsstreben der USA, bin ich mir über die Rolle
> der Briten noch nicht ganz im klaren.
> Mich interessiert hier die Meinung beider Lager (pro/anti USA), als
> ein interessierter Beobachter der Diskussionen hier im Forum:

Nun, ich zögere ja, einen Antwortversuch zu unternehmen, da ich mich
weder dem einen noch dem anderen Lager zurechne. Ob des Mangels an
Inhalt in den bisherigen Antworten werde ich aber jetzt doch den
Versuch unternehmen.

> 1)
> Wieso schlagen sich die Briten so vehement auf die Seite der USA?
> Waffenbrüderschaft, gemeinsame Wurzeln sind mir zu schwache Argumente
> für kalte Realpolitik. 

Außenpolitische Tradition. Das wohl wichtigste Element einer guten
Außenpolitik. Sie macht die Aktionen eines Landes vorhersagbar und
damit vertrauenswürdig. Das UK hat seine Außenpolitik gegenüber
Europa in den letzten 300 Jahren nur sehr wenig verändert. UK hält
sich üblicherweise aus Europäischen Dingen raus, und mischt sich nur
ein, um ein Gleichgewicht der Kräfte auf dem Kontinent aufrecht zu
erhalten. In den letzten 100 Jahren also vornehmlich ein
Gleichgewicht zwischen FR und DE. Daher sind sie auch erst relativ
spät der (damals) EG beigetreten.

Aus dem gleichen Grunde werden die Beziehungen mit den USA nicht
abgekühlt. Nach der Anerkennung der Unabhängigkeit der USA haben sich
die Beziehungen beider Länder ja wieder normalisiert und sind recht
eng geworden. Es ist völlig klar, daß UK diese (in Jahrhunderten
gewachsenen) Beziehungen nicht wegen ein paar Jahrzehnten
Europäischer Union aufs Spiel setzt. Das gleiche Verhalten anderer
Europäischer Staaten kann man übrigens auch beobachten. Z.B. die
Reaktion Russlands auf einen Krieg gegen die Serben, oder das
übertriebene Vorpreschen Deutschlands als es um die Anerkennung der
kroatischen Unabhängigkeit ging (Deutschland hat historisch enge
Beziehungen zu Kroatien), für die Genscher ja auch international
heftig Kritik einstecken mußte.


> 2)
> Was versprechen die Briten sich davon?
> Ein Stück vom Kuchen? Welches Stück könnte das sein? Ein Vasall über
> den restlichen Vasallen zu sein/werden?

Ja.

> Fakt ist, dass das was die Briten da abziehen eine mögliche
> Europäische Gemeinschaft, die möglichen "Eine Stimme" Europas
> unmöglich macht. 
> Das müsste aber doch gerade auch im Sinne der USA sein. Ein starkes
> Europa ist doch das letzte was die wollen. 
> Wieso sehen das die Briten nicht?

Das UK denkt natürlich zunächst mal an die eigenen Interessen, nicht
an die der EU. Der Kontinent ist momentan stabil. Warum also sollte
sich UK da groß einmischen. Ich denke aber, daß sich dieses Paradigma
der britischen Außenpolitik in den nächsten Jahrzehnten ändern wird.
Es hatte sich in den 70ern ja schon gelockert und ist erst durch
Thatcher wieder verstärkt worden. 

> 3)
> Was könnten die langfristigen Pläne der USA sein? (in bezug auf eine
> europäische Union)

Wenn ich mir das Insistieren der USA auf einen Türkischen Beitritt
zur EU ansehe, dann scheint es, als wollten die USA die
politisch/kulturelle Integration der EU möglichst stören oder
verlangsamen, während sie die wirtschaftliche Integration wohl
befürworten, da dies einen neuen innereuropäischen Konflikt offenbar
wirkungsvoll verhindert. Ich denke, die USA sehen in der EU immer
noch eine Zollunion. 

Militärisch haben sie ja den wunsch geäußert, daß Europa mehr für das
Militär ausgeben solle. Es wurde allerdings auch von
"Spezialisierung" der nationalen Militärs auf Teilaufgaben gesprochen
(beim NATO-Gipfel). Das deutet wohl darauf hin, daß die USA hier
teure und selten benötigte Spezialaufgaben (sowas wie die Fuchs
Spürpanzer) an die Verbündeten auslagern will, während die
Kernkapazitäten bei den USA bleiben. Das macht die Verbündeten
abhängig vom Kernmilitär der USA, während die USA nur ab und zu auf
"Sonderzubehör" aus Europa zugreifen müssen.

Ich hoffe, daß Europa im Zuge der eigenen EU-Streitkräfte in den
Kernbereichen aufrüstet, und sich nicht zu einem "Handlanger für
Spezialaufgaben" der USA machen läßt.

> Wenn ich nun hier beschimpft werden sollte, ob meiner sträflichen
> Unwissenheit (nicht selten hier im Forum) dann soll es so sein.

Echt?! Darf ich? ;)

> Hoffe dennoch durch ihre Ansichten weiterzukommen.
> Danke ! 

"I was gratified to be able to answer promptly, and I did. I said I
didn't know." (Mark Twain)

csx



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