Italienischer Richter verbietet Kruzifix an Schulen
Rom. DPA/BaZ. Zuerst schien es wie eine Provinzposse, jetzt wird es
zur Staatsaffäre: Ausgerechnet in Italien, Heimat des Vatikans und
Sitz des Papstes, hat ein Richter das Kruzifix in der Schule
verboten. Ein Aufschrei der Empörung geht durch das Land. Über 90
Prozent der Italiener sind katholisch. Zwar sind sie längst nicht
mehr so gläubig wie früher, aber das christliche Kreuz, so empfinden
viele Menschen zwischen Mailand und Palermo, gehört zu Italien wie
das Kolosseum oder der Schiefe Turm von Pisa - ganz anders als im
"glaubensfernen" Deutschland.
"Das Kreuz ist nicht nur Zeichen des Glaubens, sondern das Symbol
unserer Werte, die die Basis unserer Identität darstellen", empört
sich sogar der ansonsten zurückhaltende Staatspräsident Carlo Azeglio
Ciampi. Politiker aller Couleur sind schockiert. Vertreter der rund
700 000 Muslime in Italien fürchten "schlimme Folgen für den Dialog
der Religionen". "Ein Geschenk an die Intoleranz", titelt selbst eine
eher linke Zeitung in Rom.
Muslimische Union
Begonnen hat die Angelegenheit in dem 700-Seelen-Ort Ofena in den
Abruzzen. Adel Smith, Vorsitzender der Muslimischen Union Italiens,
konnte es dort nicht mit ansehen, dass sein kleiner Sohn in der
Grundschule unter dem gekreuzigten Jesus das ABC lernen muss. Zum
"Ausgleich" wollte er eine Kalligrafie eines Koran-Zitats aufhängen.
Als ihm dies verwehrt wurde, zog er vor Gericht.
Der zuständige Richter in L'Aquilla entschied, dass die vom Kreuz
symbolisierten christlichen Werte "in Wirklichkeit nicht mehr das
kulturelle Erbe aller Bürger darstellen". Der einheitliche
christliche Glauben existiere schon lange nicht mehr. Dass
Bildungsministerin Letizia Moratti erst vor einem Jahr das Aufhängen
des Kreuzes in Klassenzimmern ausdrücklich angeordnet hatte, störte
den Richter in seinem erstinstanzlichen Urteil wenig.
"Eine historische Niederlage des religiösen Rassismus", triumphierte
der Kläger Adel Smith, der spätestens durch eine Fernsehdiskussion
vor einigen Monaten landesweite Berühmtheit erlangte: Bei der
hitzigen Debatte über Islam, Christentum und Toleranz kam es zu einem
Handgemenge, bei dem der Muslimführer seinen Gesprächspartner vor
laufender Kamera mit einem Kinnhaken bedachte.
Kopfzerbrechen
Eher moderaten Muslimführern in Italien bereitet das Urteil dagegen
Kopfzerbrechen. "Wie kann man in einem Land, in dem selbst die
Kommunisten ihre Kinder taufen lassen, daran denken, ein Symbol wie
das Kruzifix zu verbieten?", fragt sich ein Muslimvertreter. "Wir
haben den kulturellen Hintergrund Italien stets respektiert."
Ganz ähnlich argumentieren auch die Befürworter des Kruzifix. Es gehe
nicht nur um das Christentum, das immerhin auf eine fast 2000-
jährige ungebrochene Geschichte in Italien zurückblicken kann. Auf
dem Spiel stünden auch Tradition und Werte, Kultur und Geschichte.
Kurz: Es geht um "die Seele unseres Landes", wie der Vorsitzende der
italienischen Bischofskonferenz Camillo Ruini meint. Tatsächlich gibt
es Kreuze und Madonnenbilder schliesslich an jeder zweiten
Strassenecke in Italien - auch dies ganz anders als in den meisten
Gegenden Deutschlands.
Politiker fürchten schwere Rückschläge durch das Urteil - etwa bei
der Debatte, Ausländern das Wahlrecht bei Kommunalwahlen zu geben.
"Alles wird jetzt schwieriger, das Wahlrecht für Ausländer aus der
Dritten Welt, die Toleranz der Rassen, der gegenseitige Respekt
zwischen Muslimen und Christen", meint eine Zeitung. Und eine Mutter
in dem Abruzzen-Nest Ofena sagt: "Wenn das Kruzifix wegkommt, nehmen
wir unsere Kinder von der Schule und schicken sie woanders hin."
http://www.baz.ch/news/index.cfm?objectID=1ED6CF3E-262E-40AD-A3A84F25
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