Das waren Zeiten: die Zeitung landete beim Leser, der Leser las, fluchte lautstark beim Frühstückskaffee über Politik und Fußball, aber es blieb eben am Küchentisch und die einzigen Rezipienten der Ausführungen waren Frau und Kinder.
Heute ist das etwas anders, denn jeder, der einen Internetanschluss hat und tippen kann, mischt mit im "weltweiten Forum". Das Forum gab's bei den alten Römern als Gebäude und war ein Ort zum Treffen, Kennenlernen und Debattieren. Heute ist das halt digital aber im Grunde noch immer das gleiche - nicht schlecht, für eine 2500-Jahre alte Einrichtung!
Nur bei den Medienschaffenden ist das noch nicht so recht angekommen. Zwar muss jeder, der was auf sich hält, eine Onlinepräsenz schaffen und bietet einen Kommentarbereich an, aber so richtig arrangiert damit? Eher nicht. Denn nun ist der Küchentischpolterer live dabei und schreibt nieder, was seiner Meinung nach gesagt gehört. Und wie es leider der Fall ist, hat unsere Gesellschaft eine verrohte Debattenkultur, die an persönlichen Angriffen nicht spart. Aber selbst wenn der Leser, der nun mehr kein passiver Rezipient journalistischer Erzeugnisse ist, gar keinen Angriff führt sondern durch Eigenrecherche und Faktenwissen seinen Beitrag aufwertet und damit vielfach unentgeltliche journalistische Arbeit leistet, fühlt sich der Autor eines Beitrags angegriffen.
"Der Leser hat immer Recht" klingt wie ein hilfloser Ausruf eines quängeligen Kindes, das keine Süßigkeiten bekommt an der Kasse. Denn "nix darf man" wegen der strengen Eltern, die "immer Recht haben wollen." Dabei sollte eigentlich gerade in Deutschland, dem Land, in dem "Journalist" keine geschützte Bezeichnung ist und damit jedermann das Recht hat, Recherchen zu betreiben und sich als Journalisten zu bezeichnen, wenn er als Freischaffender Beiträge erstellt (unentgeltlich oder vergütet), der Leser ernstgenommen werden.
Journalisten, Autoren, Medienschaffende aller Art, die mit Kritik, ob berechtigt oder unberechtigt, nicht umgehen können, weil sie ihre Wohlfühlblase der Meinungshoheit angreift, sind charakterlich offenbar nicht gefestigt genug für die Berufung. Das ist mehr als kritisch zu sehen. Denn dank des modernen Medienzeitalters, in dem der Leser nicht als passiver Rezipient alles schlucken muss, was vorgesetzt wird, sondern partizipieren kann im Meinungsaustausch, ist Demokratie überhaupt erst vollends möglich geworden.
Was aber machen wir daraus? "Öffentliche Meinung" bzw "politischer Meinungskorridor" - und die Medien haben sich selbst ohne jede Not zu bloßen Hofberichtserstattern degradiert, die sich nicht einmal die Mühe machen, das von den Politikern gesagte kritisch zu betrachten. Die eigentliche journalistische Arbeit wurde aufgegeben, die wird dem Leser überlassen. Und wenn der den Finger auf den wunden Punkt legt, reagiert man verschnupft.
Das ist eine mehr als peinliche Zurschaustellung mangelhafter Kompetenz in einer Zeit, in der dem Journalismus die Zähne zurückgegeben werden müssen. Presse und Medien sollten keine Verbündeten der Politiker sein, sondern möglichst investigativ-unangenehm kritische Fragen stellen und die Meinungshoheit den Politikern entreißen, den Meinungskorridor sprengen und Meinungspluralismus in all seinen Facetten zulassen. DAS ist die Aufgabe des Journalismus. Und da versagt er und reagiert auch noch trotzig bis rotzig, wenn einer drauf hinweist.
In dem Sinne, Gute Nacht.