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  • Twister

mehr als 1000 Beiträge seit 27.11.2000

Kiss the wall

Irgendwann war mal vieles einfach. Es war klar, wer weiß, schwarz,
dünn, dick, böse, gut, normal oder verrückt war. Es war so simpel
andere einzuschätzen. Ich weiß, das klingt jetzt als ob ich einfach
nur ein naives Dummchen war. Vielleicht bin ich es heute noch. Aber
es war einfach. Es war wie Kreuzchen machen. Oder wie geradeaus
denken. Heute, heute ist alles so schwierig geworden. Viele sagen "es
ist eine Herausforderung" oder "na, dann muss man eben selbst
denken". Gott, was wisst ihr schon? Ihr mit eurer Überheblichkeit,
eurem selbstgerechten Lächeln und dem "tja, das Leben ist halt nicht
mehr simpel"-Tatoo auf der Stirn, stets bereit, eure klugen Sprüche
irgendwo zu hinterlassen, sei es nun ein Onlineforum, ein Chat, eine
Webseite oder ein Bahnhofsklo. Wie Hunde markiert ihr das Revier
damit jeder euren Duft erschnüffelt, egal ob er nun nach Datenschutz,
nichts zu verbergen, Sicherheit, Freiheit oder einem Mittelding
riecht. Oh ja, natürlich habt ihr immer recht. Und natürlich wissen
auch alle, die euch nicht recht geben, überhaupt nicht, wovon sie
reden, sind zu langsam oder zu dumm um "es" zu verstehen. Was auch
immer "es" ist. Hauptsache es ist das, was ihr vertretet, nicht wahr?

Nehmt doch nur mal euren Datenschutz. Ob ihr nun dafür, dagegen oder
irgendwo in der Mitte, abseits oder jenseits von allem seid... was
für ein blöder Begriff. Jeder schmeißt seine Daten um sich wie ein
anderer Konfetti zu Karneval. Gründe? Ach kommt, jeder hat doch
Gründe - Eitelkeit (hey, ich bin der und der), Provokation (ich habe
nichts zu verbergen), Höflichkeit (ich heiße übrigens...), Anbaggern,
Schocken, eine Reaktion auf eine Provokation, eine unvorsichtige
Antwort... Die Daten schwirren um uns herum und ihr redet von
Datenschutz.

Und dann die Zweischneidigkeit. Oh ja, natürlich soll es Datenschutz
sein, nicht wahr? Natürlich soll niemand wissen, wer euch Geld
geschickt hat, wer euch aus der Patsche hilft. Denn ihr habt immer
Ausreden, immer Entschuldigungen. Der böse Staat, der euch sowieso
ausnimmt, die "Maschinerie", in der ihr gefangen seid, die Regierung,
die euch benachteiligt - wenn ihr Geld bekommt, schamhaft eingepackt
in einen weißen Umschlag mit doppeltem Briefbogen "inside" und einem
falschen Namen auf dem Umschlag, dann ist das ganz in Ordnung, aber
wenn jemand anderes sie bekommt und Politiker ist, dann hat er euren
Regeln zu gehorchen, hat zum gläsernen Geldempfänger zu werden. Und
nicht nur das - er muss ja auch sein privatleben aufgeben, nicht
wahr? Ob er nun einmal betrunken ist, 20 Euro bekommt oder sich mit
einen Manager zum Saufgelage trifft, mit anderen über Computer redet
oder einfach nur den Urlaub bezahlt bekommt - alles muss offen sein,
muss transparent sein, muss nachvollziehbar sein. Privatsphäre stirbt
sobald man Politiker wird oder Prominenter, oder? Oder? ODER?

Aber, Gott, wer wird sich schon Gedanken machen über all das? Wie
viel leichter ist es, seine Position zu verteidigen. Als ob es etwas
anderes wäre als etwas aussitzen. Position verteidigen -
sitzenbleiben, stoisch, der Feld in der Brandung oder die Eiche, die
jegliches Wachstum erdrückt. Schwarz oder weiß, was seid ihr und was
bin ich?

Ist es in Ordnung zu sagen, wer mir einst Geld gab als ich nicht mehr
weiter wusste? Ist es in Ordnung zu sagen, wer "denen da oben", wer
immer sie sind, Geld gab? Wer kann sagen, wofür es war? Und wer will
es wissen, will die Wahrheit hören oder die Lügen? Wer weiß
überhaupt, was was ist? Wird die Wahrheit zu einer Lüge, wenn sich
der Mensch verändert? Oder verändert sich die Wahrheit, wenn der
Mensch zur Lüge wird?


Ihr mit eurer Überheblichkeit - ihr schaut auf die Wände und
interpretiert sie, ihr seht, wer sie gebaut hat, wer hinter ihnen
sitzt oder wer sie einfach nur gefärbt hat, in welchen Farben auch
immer. Ich nicht. Ich küsse die Wände und mein Kopf prallt wie ein
Hammerschlag dagegen. Und ich frage mich, ob mein Tagebuch von euch
als Privatsphäre interpretiert wird weil ich ein Nichts war oder als
Gemeingut weil ich es nicht war, weil ich kein Nichts war. Und was
besser ist.

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