Ansicht umschalten
Avatar von Susanne Härpfer
  • Susanne Härpfer

227 Beiträge seit 22.06.2008

SEHEN WIR EINE NEU-AUFLAGE DER ÜBUNG ABLE ARCHER, DIE AN DEN ATOMAREN ABGRUND FÜ

In diesen Tagen wird ausgiebig debattiert über eine Drohung mit Atomwaffen gegen den Westen, die Rußlands Nuklearstratege im Fernsehen gemacht haben soll.
Vergessen wird dabei, daß die Nato in einer Stabsübung, das Ukrainische Kiew mit einer Atom-Mittelstreckenrakete ausradieren wollte.

Das war am 11 November 1983, Teil der weltweiten Militär-Übung „Able Archer“, die die Welt an den Rand eines echten Atomkriegs brachte. In der Übung der Nato sei es darum gegangen, sämtliche Atomwaffen weltweit einzusetzen, am Ende stand die totale Vernichtung der Erde. Das Ende der Zivilisation sei Teil dieser Übung gewesen, berichtet die Britische Rundfunkgesellschaft BBC.
Doch aus der Übung sei beinahe Ernst geworden. Die Russen hätten nicht mehr unterscheiden können zwischen Manövern der Nato und der echten Vorbereitung eines Angriffskriegs gegen die damalige Sowjetunion sagte Nate Jones der BBC, der als Direktor des Freedom of Information Acts des National Security Archives arbeitete. Durch die Generalstabsübung hätten sie den Eindruck gewonnen, die USA und ihre Verbündeten planten einen realen Krieg gegen Rußland.
Sie hatten allen Grund dazu. Im September 1983 hatte die Russische Luftüberwachung gemeldet, eine amerikanische Atomrakete flöge auf Rußland zu, gefolgt von vier weiteren Raketen. Darauf hätte die Sowjetunion mit einem atomaren Gegenschlag antworten können. Zum Glück beschloß aber der Russische Oberstleutnant Stanislaw Jewgrafowitsch Petrow, die vermeintliche Frühwarnung als Fehler zu deklarieren und nicht auf den roten Knopf drücken zu lassen. Es stellte sich heraus, daß er Recht hatte und durch sein eigenmächtiges Handeln die Vernichtung der Welt verhindert hatte.
Kein Wunder, daß die Sowjetunion im November 1983 davon ausging, es dieses Mal mit einem Ernstfall zu tun zu haben.
Wie eine Dokumentation des SWR zeigt, hätten die Russen sich mit der Spionage-Operation Ryan abgesichert, um Details der angenommenen Angriffspläne der USA zu erfahren. Immerhin hatte Präsident Reagan im März desselben Jahres mit seinen SDI-Plänen (Strategic Defense Initiative) angekündigt, das Wettrüsten ins All zu tragen. Kurz nach dem Beinahe-Atomschlag, im Oktober 83, hatten russische Militärs eine koreanische Passagiermaschine über ihrem Territorium abgeschossen.
Die Situation war also aufgeheizt. Die Streitkräfte der damaligen Sowjetunion waren in Alarmbereitschaft versetzt.
Der Nato-Spion Rainer Rupp (Deckname Topas) habe Belege aus dem Hauptquartier für den Geheimdienst der DDR HVA beschafft, die zeigten, es gäbe keine Pläne der Nato tatsächlich einen atomaren Angriffskrieg gegen die Sowjetunion zu führen, berichtete er selbst auf einem Vortrag.
Der Überläufer des russischen Geheimdienstes KGB Oleg Gordiewsky habe dem Westen übermittelt, wie ernst die Russen die Militärbewegungen der Nato genommen hätten – bis hin zur eigenen Mobilmachung. Auf diese Weise sei überhaupt erst ein Problembewußtsein dafür geschaffen worden, wie rasch aus einem Manöver ein echter Krieg werden könne.
Dies zeigt auch ein Fernseh feature, das bei zdfinfo zu sehen ist. Phoenix strahlte den BBC-Film „Am Atomaren Abgrund“ der BBC aus, der die Hintergründe des Beinah-Weltkriegs beleuchtet.
An diese Übung „Able Archer“ und ihre Folgen sollten wir denken, wenn wieder einmal leichtfertig diskutiert wird über den möglichen Einsatz von Atomwaffen. Aus Fehlannahmen und gezielten Desinformationen kann eine Situation entstehen, die zu dem führt, was niemand ernsthaft wollen kann: Atomkrieg. Deshalb sollte man ernst nehmen, was die etablierte Zeitung South China Morning Post im Oktober vergangenen Jahres schrieb. Demnach fürchteten sich die Russen, weil die USA das Militärmanöver „Global Thunder“ angekündigt hatten, das einen Atomschlag ausdrücklich vorgesehen hätte; und obendrein bis 20 km vor die Russische Küste geführt hätte. Das war wenige Monate vor dem Einmarsch Rußlands in die Ukraine. Gab es also wieder eine Eskalation hinter den Kulissen, von der wieder erst aus den Geschichtsbüchern und dem Fernsehen erfahren werden? Führte ein cyber-Krieg im Rahmen der Übung „Global Thunder“ und Fehlannahmen zum Einmarsch in die Ukraine? Weit hergeholt? Keineswegs, wenn man aus der Erfahrung mit Able Archer seine Schlußfolgerungen zieht.

Susanne Härpfer

Bewerten
- +
Ansicht umschalten