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  • gHack

251 Beiträge seit 11.10.2000

Versuch als Advocatus Luhmanni

In der Tat. Für mich sieht das gerade so aus: Maresch greift einen
missbrauchten, ideologisierten Weltgesellschaftsbegriff an, den
zumindest ich bei Luhmann so nirgends gelesen habe (Hinweise werden
dankend entgegengenommen, bin kein Luhmann-Experte). Da er aber eine
pervertierte Version des Begriffs attackiert oder den Begriff bewusst
missversteht, bestätigt er damit indirekt die Gültigkeit von
Luhmanns(TM) Original.

Luhmann begreift "Weltgesellschaft" sozusagen als Kommunikationsraum.
Das ist ideologisch zunächst neutral, kann aber, wie jedes theoretische
Konstrukt, missbraucht werden. Wenn man Luhmann unterstellt,
Weltgesellschaft im Sinne von etwa Gramscis Hegemonie gemeint zu haben,
dann hat man ihn nicht verstanden, denn Luhmann hat diesen Begriff auf
einem wesentlich höherem Abstraktionsniveau definiert. Wenn ich jetzt
Luhmann wäre, würde ich Maresch antworten: Kommunikation impliziert
unbedingt Verstehen, aber keineswegs Einverständnis. Ich muss die
Islamisten nicht mit dem Westen verheiraten. Osama lebt (noch!) auf
demselben Planeten wie wir und er kommuniziert verdammt effizient.
Luhmann schreibt in "Soziale Systeme" auch mehrmals und überdeutlich,
dass man Kommunikationen annehmen oder ablehnen kann. Die Islamisten
bewegen sich in demselben logischen Raum wie wir. Wir fangen was
miteinander an. Wir können uns töten, vertragen, auf Distanz halten.
Ohne Kommunikation ist das unmöglich. Luhmann versteht auch
entsprechend gezielte Handlungen als Kommunikationen, also trägt sein
Kommunikationsbegriff auch im Fall von Flugzeugen, die in Wolkenkratzer
krachen. 

A propos Luhmann: Seine Bemerkungen zum Konfliktbegriff in "Soziale
Systeme" passen verdammt gut auf den Nahostkrieg. Was ich Luhmann
dagegen nicht abnehme, ist die Differenz Interaktion/Gesellschaft. Da
bleib ich lieber altmodisch und Mead/Blumer-Fan.


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