Pnyx (1) schrieb am 16.04.2022 18:49:
Und sei es auch nur, um Aussagen mit einem gewissen Anteil an Kongruenz mit wahrnehmbarer Welt, Fakten genannt, von solchen zu unterscheiden, bei denen dies nicht der Fall ist.
Schlechtes Kriterium. Es gibt wohl keine contraintuitivere Aussage als die Aussage, die Sonne würde gar nicht um die Erde herum wandern sondern es sei die Erde, die sich um ihre eigene Achse dreht.
Aussagen werden in Spreu und Weizen getrennt, ihr Geltungsniveau bestimmt.
Zum Beispiel auch Aussagen über Aussagen und ihren Geltungsbereich. Man nennt das "Anwenden von Vernunft". Oder gleich Philosophie. Da kann man freilich mindestens soviel Übel anrichten wie z.B. in der Medizin. Man kann Philosophie als Medizin der Vernunft verstehen (den Genitiv doppelt verstanden).
So wie man in der physischen Medizin Gutes und Schlechtes bewirken kann, sich in the long run aber die Lebenserwartung der Menschen dann eben doch vervielfacht hat, so kann man auch in der Medizin der Vernunft Gutes und Schlechtes bewirken.
Die Philosophie hat hier aber gleich mit mindestens drei zusätzlichen Problemen zu kämpfen:
1. Philosoph ist keine geschützte Berufsbezeichnung, wogegen du viele Prüfungen bestanden haben musst, bevor du jemandem den Bauch aufschneiden darfst. Das führt dazu, dass ein Precht als Philosoph gilt, Jack The Ripper aber nicht als Chirurg. Das kann für die Disziplin Philosophie nicht gut ausgehen.
2. Wenn die Medizin einem Kranken den Bauch aufschneiden muss, ist dessen Mitwirkung so sehr unerwünscht, dass man ihn vorher bewusstlos macht. Die Medizin der Vernunft dagegen hat die Mitwirkung dessen, der von falschen Annahmen über die Welt geheilt werden soll, als Sine-Qua-Non-Voraussetzung. Das kann im Großen und Ganzen für die Disziplin Philosophie nicht gut ausgehen.
3. Erfolge der physischen Medizin (z.B. Steigerung der allgemeinen Lebenserwartung) können auch von Vollidioten wahrgenommen werden. Aber selbst 240 Jahre nach der Kritik der reinen Vernunft wird noch fröhlich der Raum gekrümmt, niemand kommt ins verdiente Irrenhaus, der öffentlich über die Möglichkeit referiert, der Zeitpfeil könnte sich irgendwann mal umdrehen, oder der davon überzeugt ist, die Zeit hätte einen Anfang in der Zeit (also in der Vergangenheit) gehabt. Man kann heute noch auf Basis von vorkantischer Metaphysik problemlos einen Nobelpreis in Physik bekommen. Mittelalterliche Marktfrauenmetaphysik cum Teilchenbeschleuniger! Es ging also für die Disziplin Philosophie nicht gut aus.
Nichts davon ist allerdings ein Argument gegen die Philosophie, also gegen das Denken.