Sie zeigt auch, wie man weiterleben kann, wenn die Vernunft gescheitert ist. Pontius Pilatus will den unwichtigen Sektierer Christus begnadigen - wenn auch nur aus Gleichgültigkeit. Das funktioniert aber nicht, weil die erhitzte, aufgepeitschte Masse Blut sehen will.
Das ist wohl die Form, in der Suchsland seine Kritik an der aktuellen Stimmung in westlichen Landen noch zu giessen können glaubt, ohne sich selbst Kreuzigungsrufen auszusetzen.
Seine historische Einbettung ist prekär, was Suchsland in einer Textpassage selbst einräumt. Ob Pontius Pilatus seinen skeptizistischen Satz wirklich geäussert hat, lässt sich nicht ermitteln. Dennoch kann man den Ball aufnehmen.
Spätestens seit den von Plato verfassten sokratischen Dialogen ist in der westlichen Kultur der Kampf um den ontischen Status abstrakter Begriffe entbrannt. Nominalistische Positionen sind zwar nicht rational begründbar, haben in der gesellschaftlichen Praxis dennoch und damit kontrafaktisch Geltung. Gerade am Begriff der Wahrheit lässt sich unschwer festmachen, dass solche Begriffe instrumentellen Charakter haben, meist auch moralisch aufgeladen sind. Er wird, wie andere begriffliche Verallgemeinerungen wie Gerechtigkeit, Freiheit etc., in Anschlag gebracht, um ins primäre Chaos Welt so etwas wie wertende Ordnung zu bringen. Und sei es auch nur, um Aussagen mit einem gewissen Anteil an Kongruenz mit wahrnehmbarer Welt, Fakten genannt, von solchen zu unterscheiden, bei denen dies nicht der Fall ist. Aussagen werden in Spreu und Weizen getrennt, ihr Geltungsniveau bestimmt.
Insofern ist der Begriff der Wahrheit nützlich. Er hilft potentiell bei der Orientierung in der Welt, bei Entscheidungen. Seine Nützlichkeit wird jedoch genau dadurch auch eingeschränkt. Denn es geht ja meist um Wahrnehmung von Interessen, daher ist die Neigung gross für wahr zu halten oder zu erklären, was den eignen nützt. Die Einhaltung logischer Regeln kann helfen, Machtverhältnisse verhindern dies aber oft, meist. Viele versuchen es mit Abkürzungen oder versuchen gar, den Streit darum durch Verkündung von Dogmen ganz zu unterbinden.
Zuweilen wird auch der Versuchung nachgegeben, die Übung relativistisch ganz aufzugeben, die Suche oder Ermittlung von Wahrheit für an sich unsinnig erklärt. Es gebe so etwas gar nicht. Es geht dann wieder um den ontischen Status. Suchsland kommt in einzelnen Passagen diesem 'Ausweg' bedenklich nahe. Ohne einen auf rational ermittelten Wahrheiten basierenden Minimalkonsens ist aber eine menschliche Gesellschaft nicht möglich. Das Abgleiten in den dogmatischen Abgrund ist eine irreduzible Gefahr, deren man sich stets bewusst bleiben sollte, die aber durch eine relativistische Negation von Wahrheit grösser wird.