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76 Beiträge seit 22.11.2014

Datenanalyse vs. "Das Wahre und Wesentliche"

Nehmen wir dies mal als Ziel des Textes: 
„Es kommt darauf an, diesen Konsens fragwürdig zu machen, zu
erkennen, dass der Wille des Menschen nicht algorithmisch verstehbar
und vorhersehbar ist.“

Liefert der Text ein Argument dafür?

Argument A: Nicht alle Daten gelangen auf den zu analysierenden
Datenberg.
Argument B: Nicht alle wichtigen Daten gelangen auf den zu
analysierenden Datenberg. 
Argument C: Es gibt „das, was X (nicht) durch den Kopf geht“, was
prinzipiell nicht auf den Datenberg kommt.

Argument A ist ein rein pragmatisches Argument. 

Argument B ist schon ein hochproblematisches Argument, wie alle
Argumente, die mit Wichtigkeiten, Relevanz o.ä. hantieren.
Schließlich ist kein Algorithmus bekannt (oder möglich?), der alle
wichtigen Daten aufzählt. Aber das Argument ist nicht selbstevident. 

Argument C ist sicher das problematischste Argument: Es gibt da
etwas, man kann es nur umreißen, aber es bleibt dem Anderen verborgen
– ja es muss so sein, es ist das Unsichtbare. Ich weiß, dass es das
gibt, mir selbst ist es nicht verborgen, aber den Algorithmen schon.
Hier steckt also ein Introspektionsargument mit drin, das "als
gegeben" angenommen werden muss - qua Introspektion.

Natürlich liefert der Text keine Evidenz für die drei Argumente. Da
geht es um Selbstverständlichkeiten, um Alltagsgeschichten und
intuition pumps und letztlich um das Wahre und das Wesentliche. 

Es gibt nämlich einen zweiten argumentatorischen Anlauf zur
Verdeutlichung der Differenz zwischen dem „Richtigen“ und dem Wahren
und Wesentlichen. Dabei werden zwei Wahrheitsbegriffe eingeführt: 

1. Objektiv-realistischer Wahrheitsbegriff

„Was hilft es, wenn Big Data uns in Wahrheit nicht kennt, aber die
Behörden uns nach der Analyse der abgeschöpften Daten als Terroristen
klassifiziert?“
Da gibt es eine Wahrheit, die „hinter“ dem Konsens der Behörden
liegt, etwas, das tatsächlich (!) nicht algorithmisch greifbar sein
soll. Das ist der Konsens auf der Grundlage von algorithmischen
Datenanalysen. Es ist nicht greifbar, aber es ist da und es steht in
Differenz zu dem, was Konsens ist. 

2. Konsensbasierter Wahrheitsbegriff 

„Wenn wir bei dieser Frage stehen bleiben, dann haben wir schon
zugestanden, dass mit diesem Wissen irgendetwas Wesentliches über uns
in Erfahrung zu bringen wäre. Es kommt darauf an, diesen Konsens
fragwürdig zu machen (…)“

Da gibt es einen Konsens, der nichts mit dem „Wesentlichen“ zu tun
hat. 

Die Vermischung beider Wahrheitsbegriffe wird in diesem
„Notwendigkeitsargument“ deutlich:

„Wiederum ist also notwendig, dass das Ergebnis der Berechnungen der
Großcomputer nicht nur als richtig, sondern als Wahrheit genommen
wird, dass also in der Gesellschaft insgesamt ein Konsens darüber
besteht, dass man durch Datensammlung und algorithmische Analyse
nicht nur etwas Zutreffendes, sondern auch etwas Wahres über einen
Menschen herausfinden könnte.“

Wie kommt diese Notwendigkeit zustande? Sie kann ja nicht über einen
Konsens zustande kommen, denn es ist durchaus denkbar, dass ein
„Geheimdienstgesellschaft“-Konsens über das Richtige und das Wahre
herrscht. 

Nein, der Autor möchte sicher erklären, dass er prinzipiell
konsensfrei auch in einer Geheimdienstgesellschaft sagen kann: „Liebe
Geheimdienstler, ihr habt nur einen Konsens über das Richtige, aber
nicht über das Wahre und das Wesentliche. Das seht ihr nämlich nicht
mit eurem Konsens.“ 

Entweder zieht sich der Autor demnach auf einen Konsens zurück –
solange, wie der Konsens in seinem Sinne ist. Und wenn die
Gesellschaft von seinem Konsens abweicht – dann kommen das
Wesentliche und das Wahre ins Spiel, das er erkennen kann, aber die
Konsensgesellschaft nicht. 

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