Um den Gedanken hoffentlich verständlich zu entwickeln wird erst einmal ein Ablauf geschildert.
Ein Grundproblem
Ein Mann kommt in eine Psychotherapie. Es geht um ein sozial nicht erwünschtes Problem, z.B. Alkoholismus, explosives Verhalten, ....
Er Mensch hat gelernt, andere wegen unerwünschtem Verhalten abzulehnen. Er war nicht bei König Otto in der Schule, der seinen neuen Spielern beim ersten Training oft sagte: "Wenn ich sage, die Flanke war Mist, dann meine ich die Flanke war Mist und nicht sie sind Mist."
Gegen die ökonomisierten Normen muss der Mensch, wie übrigens vorher der Therapeut, gegen die gelernten Reflexe angehen. Er muss eine Haltung entwickeln, die nicht die ganze Person verurteilt (Du bist Scheiße, weil du dich immer wieder besäufst.). Die Haltung muss sich verändern. (Es ist Mist sich immer wieder zu besaufen. Was kann ich dagegen tun?)
Zur Verbesserung der eigenen Situation muss gegen die Kultur hierzulande zweierlei gelernt werden. Das Gruppenetikett (Alkoholiker, Jude) be-/entwertet nicht den Einzelnen. Die einzelne kann kritisiert werden, ohne den Menschen zu be-/entwerten.
Selbst, wenn der Gedanke rational geteilt wird. Das Gefühl wehrt sich immer wieder dagegen, weil wir es anders gelernt haben und umlernen sehr schwer ist.
Antisemitismus in dem Kontext
Die Verfolgung von Juden oder für Juden gehaltene Menschen (wird im weiteren ausgelassen, ist immer mit gemeint) ist aufgrund ihrer langen Geschichte reich an Facetten. Deutschland hat da seine eigene. So weit, so furchtbar.
Wendet man den Gedanken des ersten Abschnitts auf den Antisemitismus an, dann betrifft er sowohl Antisemiten als auch Juden. Daher ist das Zitat, dass man gegen Juden sein kann ohne Antisemit zu sein, nur im ersten Moment paradox. Die Kritik an einem gegen Juden sein, wird jedoch einfacher. Es ist die Kritik am Gruppenetikett mit dem Wissen, dass oft noch eine weitere Stufe folgen wird.
Behauptung: Es gibt mit Sicherheit Menschen, die die NS-Propaganda gegen Juden aufnahmen und trotzdem jüdischen Verfolgten halfen. Es gibt mit Sicherheit Rassisten, die im Einzelfall gute Nachbarn oder sogar Freunde für Mitglieder der abgelehnten Gruppe sind. Das wird teilweise durch die Beobachtung/Grundidee bestätigt.
Konsequenz
Um nicht immer wieder dieselben Schritte durchlaufen zu müssen
- Diskriminierung zwischen Gruppe und Individuum
- Diskriminierung von Handlung/Einstellung und Mensch
lohnt sich die Auseinandersetzung mit der Grundstruktur.
Klar verhalte ich mich entsprechend Gruppenklischees. Nicht immer.
Klar kann mich jemand wegen meiner Haltung/Handlung ablehnen. Nutzt es mir, wenn ich das mit anderen mache? Es kommt auf die Handlung an. Also auch nicht immer.
Es ist neu gewonnene Entscheidungsfreiheit, sich von diesen gesellschaftlichen Zwängen zu befreien.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (01.06.2021 16:22).