Die Bielefelder Studie schlussfolgert:
Das Wort "Jude", jüdische Identität und jüdische Präsenz in Deutschland bleiben weder Selbstverständlichkeiten noch neutrale Begriffe. Dadurch sind die gesellschaftliche Teilhabe und Zugehörigkeit, Kommunikation zwischen Juden und Nichtjuden sowie Normalitätsvorstellungen gefährdet.
Die Sonderstellung der Juden ist Kern des deutschen Philosemitismus und des deutschen Zionismus. Diese Sonderstellung wird aus der Sonderstellung der Shoa abgeleitet. Aus der Sonderstellung der Shoa folgt die Sonderstellung Israels als juedisches Refugium und daraus folgt der Vorrang juedischer Ansprueche gegenueber palaestinensischen Anspruechen. Das Pochen auf den palaestinensischen Anspruechen oder die Kritik an Israels Politik gegenueber den Palaestinensern wird daher als Antisemitismus angesehen.
Durch die Uebertragung der Sonderrolle der Shoa auf Israel setzten die deutschen Philosemiten und Zionisten die Identitaet von Juden und Israel, was als Merkmal fuer Antisemitismus gilt. Der Nahostkonflikt ist die Konkurrenz zweier Ansprueche auf dasselbe Land und die Shoa dient her zu nichts weiter als den Anspruch einer Seite zu untermauern. Der zionistische Anspruch wurde bereits vor der Shoa klar formuliert. Weder dass ziehen von Grenzen, noch Leuten zu erklaeren wo sie leben sollen, ist meine Sache. Doch die Shoa kann die Unterdrueckung der Palaestinenser durch Israel nicht rechtfertigen.
Der Antisemitimusvorwurf trifft alle diejenigen (neben wirklichen Antisemiten), die die Sonderstellung Israels nicht anerkennen und die - mit Hinblick auf obiges Zitat - zu den Juden ein normales Verhaeltnis haben (wollen). So werden dann selbst juedische Kritiker Israels als "Nestbeschmutzer", "selbsthassende Juden", "Antisemiten" oder "Kapos" betitelt.
Als Keir Starmer den Vorsitz der britischen Labourpartei uebernahm, wollte er mit dem Antisemitismus in der Partei aufraeumen damit juedische Mitglieder nicht weiter beunruhigt werden. Zu diesem Zweck wurden auch Juden von der Partei suspendiert. Kier Starmer ist ein "bedingloser" Unterstuetzer Israels (niemand sollte irgendjemand bedingungslos unterstuetzen). Es geht also zumindest in diesem Fall nicht um Antisemitimus sondern um Staatspolitik. Es reicht nun bereits aus zu behaupten, dass der Antisemitismus instrumentalisiert wird um aus der Labourpartei ausgeschlossen zu werden. Wie praktisch.
Linke Juden machen sich Sorgen, dass die Instrumentaliserung des Antisemitismus fuer politische Zwecke den Kampf gegen Antisemitismus untergraebt. Ziemlich offensichtlich wie ich finde.
Wenn man ernsthaft am Kampf gegen Antisemistismus interessiert ist, dann kann man Antisemitismuskritik oder die Shoa nicht benutzen um jegliche Kritik am Zionismus oder am israelischen Staat abzublocken. Man kann nicht gleichzeitig die Normalisierung der Verhaeltnisse zwischen Juden und Nichtjuden fordern und dann diese Normaliserung mit Verweis auf die Sonderrolle der Shoa als antisemitisch anklagen.