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  • Corvus Corax

mehr als 1000 Beiträge seit 25.03.2002

So viele Misskonzeptionen

Der Begriff Semit geht zurück auf die Göttinger Schule im 18. Jahrhundert und beschreibt Volksangehörige die historisch im nahen Osten und Nordafrika beheimatet waren. Analog dazu wurde der Begriff der "semitischen Sprachen" gebildet, der die Sprachen auf eine gemeinsame linguistische Herkunft - eine proto-semitische Wurzel zurückführt.

Zu diesen Sprachen gehört unter anderem Arabisch, Aramäisch, Hebräisch, Amharisch, Maltesisch, und einige afrikanische Sprachen.

Die damals eingeführte sogenannte Rassenlehre ist wissenschaftlich nicht haltbar, jedoch kann man kulturhistorisch mit dem Begriff die Einwohner Palästinas, der arabischen Halbinsel, Eritrea, Ethopien, Malta, Libanon und Syrien zu den Semiten zählen, nicht jedoch etwa der Türkei.

Pro-palästinensischen Demonstranten die Israel-flaggen verbrennen "Anti-semitismus" zu unterstellen zeugt daher von Inkompetenz, schliesslich sind Palästinenser nach dieser Definition selbst Semiten.

Bei "Anti-semitismus" handelt es sich zudem um eine Einstellung die auf der sogenannten Rassenlehre beruht, der Begriff unterstellt damit klassischen Rassismus, mit dem etwa der Holocaust pseudowissenschaftlich legitimiert wurde.

Der korrekte Begriff für die Flaggenverbrenner wäre Anti-zionismus, was wiederum in der Ablehnung des Staates Israel fusst. Anti-zionismus ist im persischen und arabischen Raum weit verbreitet und verneint die Existenzberechtigung des 1948 gegründeten Staats Israel bzw erkennt diesen nicht an.

In extremen Formen kann Antiisraelismus Genozidforderungen mit einschliessen, und die Übergänge zum Judenhass sind fliessend, aber nicht zwingend.

Der klassische Judenhass geht wiederum zurück auf die Römer und die römisch katholische Kirche. Die Zerstörung des 2. Tempels führte zur Diaspora, der Vertreibung/Deportation eines großen Teils der jüdischen Bevölkerung aus der damaligen römischen Provinz Judea in alle Teile des römischen Weltreichs.

Die Abneigung und Schuldzuweisung gegen Juden, zog sich durch Römische, Römisch Katholische und damit christliche Doktrien während des gesamten Mittelalters und lieferte den moralischen Unterbau für zahllose Progrome und Strafmaßnamen, wenn und wann immer von der Politik ein Sündenbock gebraucht wurde.

Aber erst mit Aufkommen der Rassenlehre gab es erste Überschneidungen zwischen Rassismus/Antisemitismus und Judenhass, im 18. Jahrhundert.

Der Zionismus, also die Bestrebung die römische Deportation aus dem Jahr 70 rückgängig zu machen und einen Israelischen Staat zu gründen geht auf Theodor Herzl (1860-1904) zurück und wurde 1948 mit der Unabhängigkeitserklärung realisiert. Dies führte zum Unabhängigkeitskrieg mit der Arabisch-palästinensischen Bevölkerung und umliegenden Arabischen Staaten und führte zur Vertreibung großer Bevölkerungsteile und Ansiedlung in Flüchtlingslagern in den umliegenden Ländern sowie in den palästinensischen Autonomiegebieten.

Der Vertreibungsstatus hält bis heute an, 63 Jahre später, die Flüchtlingslager gibt es immer noch, und die palästinensische Minderheit ist nach wie vor Unterdrückungsmaßnamen und Deportationen ausgesetzt. Im Gegenzug erkennen primär dominante palästinensische Gruppierungen den Staat Israel nicht an und bekämpfen diesen, teilweise seit Jahrzehnten mit terroristischen Methoden, die sich auch primär gegen die Bevölkerung richten.

Bei Israel-feindlichkeit muss man aber unterscheiden zwischen politischen Motiven wie

- Ablehnung der aggressiven Siedlungs und Unterdrückungspolitik mit dem Ziel einer Fairen, Friedlichen Koexistenz - etwa in den Grenzen von 1963

- Anti-zionismus, also Ablehnung des Existenzrechts des Staates Israel schlechthin aus politischen Gründen

einerseits und

- Genozidalem Anti-zionismus, also der Forderung Israel "zu vernichten", oder die jüdische Bevölkerung zu bekämpfen und zu vertreiben

- Judenhass - also undifferenzierter Ablehnung von Juden auf Grund der Zugehörigkeit zu Religion oder Kultur.

Was dabei nicht hilft ist das

1. Der Staat Israel eine Politik der Unterdrückung praktiziert, Siedlungen und militante Siedler auf palästinensischem Gebiet toleriert und unterstützt sowie palästinensische Einwohner deportiert wenn Gebiete gebraucht werden (Stichwort Ostjerusalem).
Insbesondere der zusammen mit US Präsident Trump ausgearbeitete Plan der Zerstückelung der verbleibenden palästinensischen Gebiete ist ein Affront der Widerstand fördert.
2. Der Staat Israel keine klare Trennung zwischen Staat und Religion betreibt sondern sich im Gegenteil als "Staat der Juden" bezeichnet und jüdisch Religiöse Symbole als Staatssymbol (Staatsflagge, militärische Standarte) einsetzt.

Damit wird einmal legitimer Widerstand gegen Praktiken der Israelischen Staatsgewalt hervorgerufen, zum anderen aber Ausdruck des Widerstands, wie etwa Aufrufe zu Boykot oder Sanktionsmaßnamen bis hin zu Anti-zionistischen Aktionen wie Flaggenverbrennungen als pauschal "Anti-jüdische" Handlungen gleichgesetzt.

Sowohl der Staat Israel, als auch jüdische Vereinigungen differenzieren nicht ausreichend zwischen berechtigter Israel-kritik und Judenhass. Hier muss man auch Absicht unterstellen um Kritiker zu diffamieren und in die rechte Ecke zu drücken.

In ähnlicher Form wird auch Kritik aus dem eigenen Land, seitens gemäßigter Teile der Israelischen Bevölkerung von Rechts-aussen angeordneten Kräften als "Verrat am Judentum" bezeichnet.

Tatsache ist, das es in Israel eine politisch starke rechtsradikale Szene gibt, die durch eine ganze Reihe von politischen Parteien und Gruppierungen repräsentiert wird, von Ultraorthodoxen religiösen bis zu militanten Siedlern und ihren Unterstützern. Von diesen wird offen Rassismus gegen und Diskriminierung von Palästinensischen wie Israelischen Arabern propagiert und auch praktiziert.

Man kann dabei wohl zu recht sagen das der Araberhass in Israel - seitens rechts-aussen-lastiger Teile der Bevölkerung, militanter Gruppierungen und Politiker - derzeit sicher ein größeres Problem ist und schwerere Ausmaße hat als der derzeitige (nicht der historische) Judenhass in Deutschland oder Europa. (Was letzteren allerdings nicht besser oder akzeptabel macht)

Die Akzeptanz der Israelischen Politik gegenüber der Arabischen Bevölkerung ist weltweit auf einem Mimumum, und das wohl zurecht.

Das dies auch ein Wiederaufflammen alter Vorurteile und ungerechtfertigter Pauschalisierungen gegen Juden zur Folge hat ist bedauerlich, aber keinesfalls überraschend. (Die meisten Menschen sind zu blöd um hier zu differenzieren)

Allerdings hat nicht alles was dieser Tage in die "Judenhasser" bzw "Antisemiten"-Ecke gestellt wird seinen Ursprung in jahrhundertealten Diskreminierung, sondern ist direkte Folge aktueller Politik.

Auch wenn der Begriff "Kriegsverbrechen" im Zusammenhang mit der Bombardierung von Zielen in Dicht bevölkerten Gazastreifen nur unter Vorgehaltener Hand fällt, so ist der zahlenmäßige Vergleich der "Kollateralschäden" der Bombardierung einerseits zur Opferzahl des Raketenbeschuss durch Hamas Terroristen andererseits vielsagend.

Beides ist menschenverachtend. Auch hat der Staat Israel das Recht und die Pflicht seine Einwohner zu verteidigen. Nur sollte sich ein Staat, der sich selbst als die Repräsentation des Judentums schlechthin darstellt in diesem Zusammenhang nicht auf das Niveau einer Terrororganisation begeben. Der Staat Israel muss auch seine arabischen Einwohner schützen und das Leben und die Würde von Menschen achten, auch wenn sie Palästinenser sind.

Es gab da mal einen interessanten WELT Artikel in komplett anderem Zusammenhang: Titel:

"Wenn Opfer zu Tätern werden."

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (04.06.2021 02:11).

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