Roths historisch einbettender Ansatz führt ihn zu einer realistischen Darstellung der Umstände, darunter auch des deutschen (und internationalen) Versagens Vorsorge zu treffen. Die neoliberale Entwicklung des Weltwirtschaftssystems und die daraus resultierenden Auswirkungen auf die nationalen Gesundheitssysteme wird beschrieben, mindestens in diesem Interview aber nicht hinlänglich vertieft. Aber immerhin, er ist gewiss auf der richtigen Spur.
Wenn er aber zur Thematisierung der aktuellen Seuche und ihrem Ausbruch in Wuhan schreitet, kommt ihm offensichtlich Ideologisches in die Quere. Erstens ist es unfair von vier Wochen Verschleierung zu sprechen. Ein Teil dieser Zeit verging mit Nicht wahrhaben-Wollen, speziell der lokalen Autoritäten, sowie auch der medizinischen Analyse des Vektors. Ob es in einem anderen Land schneller gegangen wäre, ist mehr als fraglich. Die Erstsequenzierung erfolgte dann sehr schnell. Sobald allen Verantwortlichen klar war, worum es sich handelte, wurde in Windeseile gehandelt, die Behandlungskapazitäten innert wenigen Tagen massiv erhöht - was die Grösse des Landes natürlich vereinfachte - und die Ausbreitung innerhalb weniger Wochen gestoppt. Das dabei auch Unschönes vorfiel und viele Fehler passierten, ist selbstverständlich. Diese wurden aber sehr schnell korrigiert, das Vorgehen professioneller.
Seitdem hat es China trotz der Unfähigkeit des Westens geschafft, Neueinschleppungen weitgehend zu verhindern bzw. schnell unter Kontrolle zu bekommen. Die drastische Reduktion der Mobilität war ein voller Erfolg und hat sich auch seither immer wieder bewährt. Im Gegensatz zu praktisch dem gesamten Westen musste die chinesische Bevölkerung nur für kurze Zeit massive Einschränkungen über sich ergehen lassen. Auch wirtschaftlich waren die Einbussen vergleichsweise gering. Mit anderen Worten Zero Covid funktioniert.
Die gesamte Kalamität läge längst hinter uns, hätte man anderswo zeitig den Verkehr aus den bereits betroffenen Gebieten komplett eingefroren, in erster Linie den Flugverkehr. Es ist nicht das vorrangige Ziel, den Virus bis aufs letzte Exemplar auszurotten, sondern seine grossflächige Ausbreitung zu verhindern. Das wäre im Januar / Februar '20 möglich gewesen (und auch danach hätte man sehr Vieles noch sehr viel besser machen können). Entscheidend ist es, die virale Evolution abzuschneiden und das ist eine Volumenfrage.
Der Lockdown-light von vor einem Jahr hat in Deutschland viele zusätzliche Tote verhindert. Da muss man nur mit dem noch viel fahrlässigeren Britannien vergleichen. Dies in Abrede zu stellen ist absolut tatsachwidrig und zynisch.
Nun hat man sich zumindest im tonangebenden Westen auf eine weitgehende Kapitulation geeinigt. Wenn wir alle sehr viel Glück haben, werden kommende Mutanten wirklich mild sein - Omikron ist es nur sehr bedingt, die u.s.-Spitäler z. B. waren noch nie so voll mit C-19-Patienten wie heute. Das ist aber alles andere als garantiert. Da kann es noch böse Überraschungen geben.
Wer ein möglichst gutes Gesundheitssystem will, eins, in dem nicht die Profitinteressen privater Akteure überwiegen, muss sich gegen neoliberale Politik allgemein wenden - was innerhalb des heute politisch Gegebenen allerdings einfacher gesagt als getan ist.