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  • Karl-Katja Krach

528 Beiträge seit 09.07.2019

Methodisch für mich nicht ausreichend

Ich bin auch nach Lektüre dieses Textes nicht bereit, die religiöse Erfahrung im Kensho (Tod des Subjektes) und Satori (Selbstgewahren) zu leugnen. Das hieße mich selbst verleugnen.

Auch nach der Erfahrung glaube ich weder an "Gott" (was heißt das?) noch an Karma oder sonst einen jenseitigen Firlefanz. Ich halte das Substrat oder die Substanz der Kognition für den Gegenstand der religiösen Erfahrung. Jacques Derrida schlug dies als Fragestellung für den religiösen Diskurs vor. Er hat dafür das Wort Subjektil benutzt, was soviel heißt wie Leinwand, Grundschicht oder Grundierung. Was bei Derrida aber notwendig ein bloß theoretisches/theorisierendes Konzept bleibt, halte ich für die Erfahrung/das Erleben zugänglich.

Nach meinem Verständnis heißt Satori (oder, wenn es denn sein muss, "Erleuchtung"), den Quanten beim Fluktuieren zuzuschauen.

Richard Barbrook greift ohne Konzept der religiösen Erfahrung oder des religiösen Erlebens die Religion pauschal an und kommt dabei folglicherweise auch über das bloße Moralisieren nicht hinaus.

Die In-Vitro-Fertilisation ist bereits eine gängige Praxis, die vielen Frauen es ermöglicht hat, ein Kind zu auszutragen. Wenn erst einmal die künstliche Gebärmutter erfunden ist, ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch Männer Kinder austragen können. Anstatt das als Befreiung der Menschen von den Zwängen der Geschlechtlichkeit zu feiern, ergeht sich Barbrook in kulturchristlichem Moralismus.

"Die Erschaffung von Leben ohne Sex" ist kein "uralter patriarchalischer Mythos", sondern eine gelebte Realität, die bereits viel zur Freiheit von Frauen beigetragen hat.

Auch ein Leben nahezu ohne harte Arbeit ist kein dystopischer Sklavenhaltertraum. Barbrook greift, um das zu behaupten, zum Stilmittel der Vermenschlichung der Maschinen. Darin birgt sich die gleiche Irrationalität wie bei der Vermenschlichung von Memes. Barbrook erscheinen die "eigenen Vorstellungen und Gefühle" vom Roboter "als externe Wesenheiten [...], als Lebewesen, die außerhalb von uns selbst existieren." (Feuerbach)

Darum kommt er dann auch nicht dazu, radikal zu fragen, wie die restliche produktive Arbeit gerecht verteilt wird, wenn Roboter und KIs den größten und härtesten Teil dieser Arbeit übernehmen. Er hat als Antwort nur die Sozialdemokratie, deren existierende Ansätze ohne den ideologischen Druck des Nominalsozialismus Stück für Stück vom Neoliberalismus beseitigt wurden. Wenn man nur die Sozialdemokratie vertritt, bekommt man nicht einmal diese. Die Empfehlung der Sozialdemokratie ist weder strategisch/strategisierend gedacht noch spielen Macht und Herrschaft dabei eine Rolle.

Das Konzept vom Leben nach dem Tod kann man auch anders verstehen, als als Datensatz oder Programm weiter zu existieren. Solche Computer vergeuden eh nur Energie und sollte einfach abgeschaltet werden. Es gibt kein Recht auf Energievergeudung nach dem Tod.

Unter dem Gesichtpunkt eines religösen Konzeptes, dass den Tod des Subjektes kennt, als Kensho oder "Großen Tod", ist das Leben nach dem Tod eine logische Folge. Es findet nach dem "Großen Tod" statt und vor dem "kleinen Tod", dem biologischen Tod, der das Ende jedes Lebens darstellt.

Paradisisch ist dieses Leben nach dem Tod fürwahr nicht. Zumindest nicht im Kapitalismus. Um diese Hölle auf Erden zu erleben, muss nicht erst ein "Großer Tod" gestorben werden. Darum sehe ich auch die Utopie als wichtiger an als die religiöse Erfahrung. Was bringt die denn, wenn man hinterher eh unglücklich ist?

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