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  • Mov Faltin

mehr als 1000 Beiträge seit 11.12.2013

Methodisch unhaltbar

Es tut mir weh, so etwas aus einem VWL-Departement zu vernehmen. Da sind methodisch die bösesten Anfängerfehler begangen worden. Als Beispiel die Folgerung:

Schweden hat die Pandemie aktuell unter epidemiologischen Gesichtspunkten offenbar also ziemlich gut im Griff, jedenfalls sehr viel besser als Deutschland oder gar Bayern unter Söder, das seit Monaten regelmäßig ganz besonders schlecht im bundesweiten Vergleich abschneidet.

Worauf fußt die nun? Auf absoluten Todeszahlen, unter gezielter Selektion von einer ganz kurzen Zeitspanne, deren relative Werte Erwähnung finden; gut zu sehen an den eingebundenen Grafiken! Um nochmal das Offensichtliche zu benennen: Deutschland hat »ein wenig« mehr Einwohner als Schweden, also hätte es bei Vergleichbarkeit unter allen als zurechnungsfähig bezeichneten Annahmen auch relativ dazu höhere Todeszahlen zu haben.

Es stimmt, dass sich die generell -- und auch kumuliert -- in Schweden deutlich höheren Werte in den letzten paar Tagen (!) umgekehrt haben im Vergleich zu Deutschland, was die vom Autor herausgepickte Datengrundlage anbelangt. Allerdings ist insgesamt die deutsche Strategie nach dieser Logik deutlich überlegen.

Sauber wäre gewesen: Ich füttere das schnell in ein Statistikprogramm wie R (das ist bei den gut erhältlichen Werten nicht einmal Arbeit), lasse mir davon die Werte pro EW ausgeben, und dann plotte ich die Darstellung beider Länder mit ein und derselben zugrundeliegenden Einheit übereinander in ein und dieselbe Grafik. Und danach betreibe ich, wenn ich's fachlich anspruchsvoll halten will, noch ein paar statistische Tests -- aber das muss für Telepolis nicht unbedingt sein. Zehn Minuten, höchstens dreißig.

Sich hingegen ein nicht ganz unwahrscheinliches Artefakt herauszupicken, um dann mit Grafiken mit Absolutwerten Irreführung zu betreiben über eine den Zahlen nach neue Entwicklung, und diese dann über das vage »aktuell« möglichst in die Länge zu zerren, und das Ganze noch mit Graphen, die unterschiedliche Ordinatenwerte aufweisen und auch nicht übereinanderliegen, das ist schon ein starkes Stück. Aus der VWL ist mir bisher noch nie eine methodisch auch nur annähernd so ungenügende Arbeit begegnet. Die schreit für mich die Begriffe »Statistikallergie« oder »Zahleninkompatibilität«, auf jeden Fall aber »eindeutige methodische Fehlleistung« heraus. Oder »ergebnisorientierte Darstellungsweise«. Das wäre dann noch schlimmer -- für mich scheint das in die Richtung einer gewollt (!) verzerrten Darstellung zu gehen.

Ich werde mal bei ein paar VWL-Profs aus meinem Umfeld nachhaken, ob sowas gang und gebe ist, so sehr werde ich da stutzig. Mit so einer verqueren »Methodik« bestehst Du ja nicht einmal das erste Semester in den meisten Fachbereichen; selbst in der Mittelstufe kommst Du damit vielerorts nicht durch. Au weia. Und dadurch ist halt auch der Teil der Betrachtungen, der durchaus diskutabel wäre, leider kaum etwas wert -- den muss man jetzt auch erst einmal eingehend überprüfen, wenn nämlich schon das Offensichtliche so dilettantisch verzerrt wird.

Ich würde mir eine seriösere Arbeit bei Telepolis wünschen. Dauernd nur auf Überspitzung und Krawall anstatt auf belastbare Aussagen zu setzen, das ist mir doch sehr befremdlich. Und wenn die Autoren nicht mit Zahlen umgehen können, dann geht ihnen doch bitte zur Hand. Aber ungares Zeug publizieren mag gut für die Diskurslautstärke sein, aber kaum zielführend hinsichtlich der Qualität. Danke.

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (10.12.2020 23:27).

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