Sind das nicht vorwiegend Rückzugsgefechte, die hier zum Artikel "Abschied von der Autostadt" ausgetragen werden?
Ist nicht längst klar, dass der Gebrauchswert des Automobils v.a. in Ballungsräumen sukzessive sinkt (Stichwort "Stehzeug"), also die ökologische Frage (Stichwort Emissionen) eher zweit- oder drittrangig ist, aber vom Mehrwert heischenden Kapital in bewusstseinsvernebelnder Weise genutzt wird?
Das Kapital, das auf Individualverkehr setzt und dafür Waren (Automobile) produzieren lässt, um sie profitabel zu verkaufen, ist darauf angewiesen, dass der Doppelcharakter der Ware auf der Gebrauchswertseite nicht zum Problem wird. Die Tauschwertrealisierung ist dauerhaft bei sinkendem Gebrauchswert der Ware nämlich nicht möglich (abgesehen von der ohnehin tendenziell sinkenden Profitrate aus anderen Gründen). Interessant ist in diesem Zusammenhang allerdings die Besonderheit der Gebrauchswertminderung, die ja nicht durch Absenkung des Gebrauchswertes der einzelnen Ware (Automobil) entsteht. Im Gegenteil, der Gebrauchswert der einzelnen Automobile wird seit Jahrzehnten durch Verfeinerung dieser speziellen Ware gesteigert - aber eben in wachsendem Maße nur noch als Potenzial, das immer weniger ausgeschöpft werden kann, denn die Gebrauchswertminderung entsteht durch Überfluss, durch zu viele gleichzeitig genutzte Automobile, deren Mobilität dadurch sukzessive abnimmt.
In diesem Zusammenhang ist die für das Kapital im Automobilsektor eigentlich zweitrangige Problematik der ökologischen Schädlichkeit der Nutzung von Verbrennungsmotoren ein willkommenes Betätigungsfeld, um den Zusammenbruch des Individualverkehrs in Ballungsräumen, die Unbewohnbarkeit von Stadtgebieten durch Automobilität, die wachsende Gesundheitsgefährdung u.Ä., bevor diese Probleme die Kapitalverwertung durch Automobilproduktion völlig zum Erliegen bringen, nicht zu verhindern, sondern bis dahin die gesamte private Automobilflotte zu ersetzen - E-Motoren statt Verbrennungsmotoren. Kapitalistisch ohne Perspektive, weil Substitution, aber temporär Profite erhaltend.
Das ist nichts mehr und nichts weniger als eine dieser irrationalen kapitalistischen "Lösungen" zur Aufrechterhaltung des irrationalen Selbstzwecks des Kapitals, welche die Widersprüche einerseits verkleistern, andererseits aber sukzessive verschärfen.
Die Kapitalfraktion, die auf Fahrrad und E-Bike setzt, bedient die wachsenden, vorwiegend städtischen Bevölkerungsgruppen, die sich längst vom Automobil weitgehend verabschiedet haben, übrigens vorwiegend auch nur ideologisch aus ökologischen Gründen, faktisch eher aus Gründen der Kostenersparnis oder der Alltagstauglichkeit.
Eine radikale Kritik an der "Autostadt" müsste selbstredend eine radikale Kritik der kapitalistischen Zu- und Abrichtung von Arbeits- und Lebensbereichen sein, mit der sich Stadtbewohner herumschlagen müssen. Ziel wäre eine Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse zu einer von den Stadtbewohner*innen konstruierten Stadt, in der die Bedürfnisse der Stadtbewohner und nicht die Profitinteressen des Kapitals die Produktions-, Konsumtions- und Lebensverhältnisse insgesamt bestimmen.
Die "Autostadt" ist eine der ungeplanten, aber folgerichtigen Ergebnisse privatkapitalistischer Wertverwertung und kann innerhalb dieses Modus entweder nicht überwunden werden oder wird als "autofreie Stadt" andere Widrigkeiten, Zumutungen und Unverträglichkeiten enthalten, die sich gegen die Bedürfnisse der Stadtbewohner durchsetzen werden.
Stadtplaner im Kapitalismus sind allenfalls mit Reparaturen oder Teilentsorgungen der Konsequenzen beschäftigt, die aus der Anarchie kapitalistischer Konkurrenz entstehen.