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Avatar von Guckstu
  • Guckstu

mehr als 1000 Beiträge seit 18.03.2024

Ein paar Anmerkungen

"Die Sanktionen gegen Russland sollten Putin in die Knie zwingen."

Nein. Sie sollten ihn behindern.
Das wurde auch von vornherein offiziell so kommuniziert.
Man hat natürlich darauf gehofft, dass die Sanktionen auch auf die Haltung der russischen Führung zum Krieg eine Wirkung haben, aber zumindest in den öffentlichen Verlautbarungen ist davon nicht viel zu hören. Wie es bei internen Diskussionen aussieht, ist allerdings unbekannt - übrigens auch der Artikelautorin, von daher ist jede Einschätzung dieser Wirkung reine Kaffeesatzleserei.

"Doch das Gegenteil ist eingetreten"

So? Putin ist aufgrund der Sanktionen stärker als je zuvor?
Das wäre allerdings sehr erstaunlich. Hoffen wir mal, dass der Artikel da noch was Erhellendes dazu bringt.

"Die USA und ihre Verbündeten haben sich auf Sanktionen als eines der Hauptinstrumente zur Einschränkung der russischen Militäroperationen in der Ukraine verlassen."

Das kann man ganz leicht einordnen: Sanktionen ohne Militär- und Finanzhilfe hätte die Ukraine verlieren lassen, Militär- und Finanzhilfe ohne Sanktionen wäre teurer gewesen, aber immer noch wirksam.
Also: Sanktionen waren nie Hauptinstrument. Das stellt der Artikel völlig falsch dar.

"Allerdings ist unter Experten umstritten, ob und inwieweit die Sanktionen Wirkung gezeigt haben."

Das ist jetzt nicht erstaunlich. Drei Experten, vier Meinungen.
Lieber wäre mir, die Autorin wäre selbst Expertin und hätte eine eigene Meinung, statt einen Expertenstreit vorzutragen und das auch noch als Unterstützung ihrer These heranzuziehen, das ist methodisch einfach unsauber.

"die russische Wirtschaft hat sich erholt"

21% Leitzins, Inflation selbst nach offiziellen Zahlen jenseits von Gut und Böse, die ersten Konzerne klagen über mittlerweile fast unmögliche Refinanzierung von Investitionen, und das sind nicht mal irgendwelche Konzerne, sondern welche des russischen Militärisch-Industriellen Komplexes.
Wirtschaftliche Erholung sieht völlig anders aus.

"die Unterstützung für Putin und den Kreml ist auf einem Rekordhoch"

Da wäre eine Quelle nötig gewesen.
Mir sind dafür keinerlei belastbare Zahlen bekannt.
So... ist das eine reine persönliche Meinungsäußerung, ich bin gegenteiliger Meinung, und nu?

"Die Sanktionen haben ... unbeabsichtigt die harte Haltung Moskaus gestärkt, die Nützlichkeit alternativer Strategien untergraben und den Kreml gegen zukünftigen internationalen Druck gewappnet."

Steile These.
Ohne Begründung vorgetragen.

"Das Kronjuwel sind die internationalen Embargos gegen russisches Öl und Gas, die 60 Prozent der russischen Exporte und fast 40 Prozent des Bundeshaushalts ausmachen."

Das ist jetzt ein bisschen ungenau. Es gibt Preisdeckel, die zu unterlaufen Moskau Geld kostet, aber keine Embargos, das wären Verbote.
Ist vielleicht der Übersetzung geschuldet, im Englischen wird für beides der gleiche Begriff verwendet.

"Von Anfang an schien Russland bereit, den Sanktionen des Westens nachzugeben."

Hm. Nein. Ich wüsste nicht, wann und wo.
Vielleicht ist mir ja etwas entgangen, aber spätestens in der letzten Woche vor dem Einmarsch waren die Weichen definitiv gestellt und keine Embargodrohung hätte etwas ändern können.
Und nach dem Einmarsch wurde zwar verhandelt, aber völlig ergebnislos, die russischen Vorschläge hatten in den Anhängen Bedingungen versteckt, die auf eine Kapitulation hinausgelaufen wären, was die ganzen Verhandlungen eh zur Farce gemacht hat.
Ich wüsste nicht, wie sich da Sanktionen hätten auswirken sollen.

"Aber geduldig darauf zu warten, dass Russland seine Reserven und die Geduld der Öffentlichkeit erschöpft, hat sich nicht so entwickelt, wie die Befürworter gehofft hatten."

Oh nein, nicht "die Befürworter", sondern nur vor allem öffentlich auftretende, und selbst von denen nicht alle. Ich habe jedenfalls noch jede Menge Stimmen im Ohr, die sagten, Sanktionen brauchen Zeit zum Wirken.

"Es hat wichtige Unterstützer geschützt, neue Handelsnetzwerke aufgebaut und schließlich im Jahr 2023 mehr mit seinen Ölexporten verdient als im Jahr 2021."

Öl ja. Das größere Geschäft ist aber Gas, und Gazprom macht Milliardenverluste, wo es vorher Milliardengewinne gemacht hat.
Und keine Erklärung, warum sie nicht über Gas schreibt.

"Seine Handelsströme mit China haben sich zwischen 2021 und 2023 verdoppelt und die Exporte nach Indien verzehnfacht."

Faktoren sind irrelevant, wenn man nicht die Basiswerte kennt.
Und ohne einen Vergleich mit anderen Exportpartnern ist es eine komplett nutzlose Angabe.

"Anstatt die Kriegsanstrengungen einzuschränken, haben die Sanktionen eine wirtschaftliche und politische Partnerschaft mit China, Indien, Iran und Nordkorea katalysiert, die auf eine beunruhigende geopolitische Neuordnung hindeutet."

Nein, tut es nicht. Das ist die Sicht von Kalten Kriegern, die jede außerhalb des eigenen Lagers stattfindende Kooperation als absichtlich gegen die eigenen Ziele gerichtet wahrnehmen, und das führt am tatsächlichen Geschehen weit vorbei.
Den Indern und teilweise auch den Chinesen geht der Ukrainekrieg am Allerwertesten vorbei, aber da Russland seine Exporte zu Discountpreisen anbieten muss, schlagen die beim günstigen Geschäft zu. Dennoch drücken beide Staaten gnadenlos die Preise, und das ist eben auch deren Motiv: Die Notlage eines Anbieters ausnutzen, um selber günstig einkaufen zu können.
Sorgen müsste man sich erst machen, wenn plötzlich Unterstützung ohne direkte Bezahlung gewährt wird.

Mit Nordkorea gibt es tatsächlich ein Bündnis. Wie viel das in der Praxis Wert ist, wird man aber abwarten müssen, im Moment könnte das tatsächlich von freihändiger Hilfe bis zu "Kim lässt sich das ultra-teuer bezahlen" alles sein, da zieht der Artikel Schlussfolgerungen, bevor überhaupt die Fakten bekannt sind.

Jedenfalls gibt es da kein "wachsendes Netzwerk"; das wünschen sich viele Staaten, aber sie tun sich schwer damit, tatsächlich Ergebnisse zu erzielen.
Solche Netzwerke brauchen halt Jahrzehnte zum Wachsen und sind in wenigen Jahren zerstört - wie man am transatlantischen Netzwerk sieht, das seit ungefähr 1950 wächst, aber gerade eine ziemliche Vertrauenskrise wegen der erratischen Politik eines einzelnen Präsidenten durchmacht, und solange in der US-Politik weiterhin Tea-Party-Anhänger die Republikanische Partei dominieren, wird diese Gefahr weiterhin im Raum stehen - mit anderen Worten: Auf absehbare Zeit. Das ist mittlerweile so fragil, dass eine einzige Entscheidung seitens der USA dieses Netz endgültig zerreißen kann.
Und so sieht es halt auch für die Alternativnetze aus. Nur dass die Interessen dieser Alternativbündnisse noch divergenter sind als die der transatlantischen Partner, d.h. der Netzaufbau ist schwieriger und der Netzriss ist viel schneller da.

Das sind Sachen, die über Jahrzehnte laufen.
Der Ukrainekrieg wird garantiert nicht Jahrzehnte laufen, eine der Seiten wird vorher erschöpft sein.
Und damit ist dieser Krieg samt Sanktionen zu schnell wieder vorbei, um ein Konkurrenznetz signifikant zu stärken. Das ist, wenn überhaupt, nur ein vorübergehender Effekt.

Das Einzige, was ich derzeit beobachte, ist, dass die Russen sich gerade intensiv um eine Diplomatieoffensive bemühen.
Was nur gut sein kann. Dass sie jetzt zuhören haben lernen müssen, ist für zukünftige Verhandlungen auch für den Westen von Vorteil.

"Die Befürworter von Sanktionen argumentieren jedoch, dass selbst dann, wenn es Moskau gelingt, seine Eliten vor den wirtschaftlichen Kosten zu schützen, die russische Öffentlichkeit am Ende die Rechnung bezahlen und sich gegen ihre Führung wenden wird."

Der Artikel formuliert jetzt sogar noch mehr als Tatsache: nichts von "Erwartung" oder "Hoffnung", sondern "die russische Öffentlichkeit wird dies tun".
Nein, das haben die Befürworter nie gesagt. Es gibt ein paar Leute auf Youtube, die monatlich die nunmehr direkt bevorstehende Revolution voraussagen, aber die sind wirklich nicht "die Öffentlichkeit", sondern erzählen nur, was ihre Besucher hören wollen.

"Dieser Weg des Politikwechsels erscheint jedoch zunehmend unwahrscheinlich."

Angesichts der flächendeckenden Repressalien war er nie wahrscheinlich.
Putin hat sämtliche Opposition gründlichst unterdrückt, in der Öffentlichkeit wird sich kein Protest mehr regen.
Bis zu dem Zeitpunkt, an dem zwei Dinge zusammenfallen: Irgendwer beschließt, lautstark zu protestieren, und gleichzeitig stehen so viele andere Bürger ganz dicht vor einer ähnlichen Entscheidung, dass dieser erste Protest sie zum massenhaften Mitmachen motiviert und Putin kann sie nicht mehr alle verhaften.
Außerdem muss sich der Protest auf mindestens eine der wichtigen Machtstützen Putins ausweiten, also mindestens Militär oder Geheimdienst, vorzugsweise beide.
Das war schon zu Kriegsbeginn so, und es hat sich seither nicht nennenswert geändert. Jeder aufflackernde Protest war klein und wurde zügig niedergeschlagen.

Mit anderen Worten: Es ist überhaupt nicht möglich, eine Wahrscheinlichkeit anzugeben.
Die kann hoch sein, die kann niedrig sein, die kann irgendwas dazwischen sein - nicht mal Putin kann das wissen, denn in einer Diktatur sagen die Leute nicht, was sie eigentlich denken, und ihre Gedanken sind ihnen ab einer gewissen Repressionsintensität selber so suspekt, dass sie selber nicht wissen, wann sie denn protestieren würden, weil sie derartige Gedanken schleunigst unterdrücken.

Warum der Artikel da jetzt eine Tatsachenbehauptung draus macht, wird wohl das Geheimnis der Autorin bleiben, denn sie äußert sich dazu nicht weiter.

"hat die russische Öffentlichkeit auf die Sanktionen im Gegenteil damit reagiert, sich hinter die Regierung zu stellen und die innenpolitische Position Putins und seiner Unterstützer zu stärken."

Ja, die Öffentlichkeit.
Die ist in einer repressiven Diktatur mit fast vollständiger Medienkontrolle vollkommen irrelevant - anders als in einem Staat mit Meinungsfreiheit.

Also auch hier ist der Artikel eher Meinung als Fakten.

Ich zitiere jetzt die nachfolgenden Sätze nicht, aber von einer gleichbleibend hohen Zustimmung ist wirklich nicht auszugehen. Selbst in der Öffentlichkeit gibt es mehr Menschen, die den Krieg als sinnlos ansehen; da ist in den letzten Monaten etwas gekippt.
Aber selbst dafür gibt: Ob das relevant ist oder nicht, weiß kein Mensch, nicht die Befragten, nicht die Interviewer, nicht die Meinungsforschungsinstitute, nicht der FSB, nicht Putin und erst Recht niemand aus dem Ausland, Politikanalysten eingeschlossen. Das ist schlicht unbekannt.

"Versuche, Desinformation und Propaganda zu bekämpfen, sind ebenfalls gescheitert. Private Unternehmen wie Twitter/X und Meta versuchten 2022 hart durchzugreifen, indem sie offizielle Konten sperrten und falsche oder irreführende Beiträge in sozialen Medien entfernten. Moskau reagierte mit einer Reihe von Zensurgesetzen und verbot Facebook und Twitter/X als Ganzes in Russland."

Hier vermischt der Artikel zwei völlig unterschiedliche Felder.
Das eine wäre die Informationssphäre in Russland selbst. Die hat der russische Staat in der Tat völlig unter Kontrolle, aber was hat das mit dem Versuch zu tun, Desinformation und Propaganda zu bekämpfen? Das ist das, was die westlichen Staaten für ihre eigene Bevölkerung tun.

"Sie sehen nur Behauptungen über Russlands "Verantwortung zum Schutz" der Bürger in der Ukraine, Ausstellungen über die "Chronik der Grausamkeiten" der Nata und der USA und Behauptungen, dass "unabhängig von der Situation in der Ukraine ... [der Westen] nur ein Ziel hat - die Entwicklung Russlands zu behindern". So haben Sanktionen und inoffizielle Restriktionen unbeabsichtigt die innenpolitische Position Putins und seiner Unterstützer gestärkt."

Ach was. Diese Propagandaerzählungen würde es mit und ohne Sanktionen geben.

"Die wirtschaftlichen Kosten sind nicht ihr einziger Nachteil. Das Ergebnis von Sanktionen ist ein Moskau, das einen größeren Anreiz und die Fähigkeit hat, künftige militärische Aggressionen zu verfolgen, das die unangefochtene Unterstützung einer isolierten inländischen Öffentlichkeit genießt und das über die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit verfügt, um künftige Einschränkungen zu überleben."

Anreiz: Ja. Natürlich. Aber Sanktionen ändern die Moskauer Ziele ja nicht.
Fähigkeit? Eher nein. Die Sanktionen haben die russische Wirtschaft durchaus geschädigt, auch wenn der Artikel fälschlicherweise das Gegenteil behauptet.

"Folglich können Sanktionen zwar die Bereitschaft Washingtons, sich der Invasion zu widersetzen, mindern, doch schaffen sie in Wirklichkeit Fehlanreize, die ein künftiges Engagement Moskaus in der Ukraine und für die internationale Sicherheit im weiteren Sinne untergraben."

Ich glaube, das hätte "Kiew" statt "Washington" heißen müssen.
So macht der Satz jedenfalls keinen Sinn.

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