Jochen Behrens schrieb am 19.05.2022 10:54:
Mit der Einstellung "die Gesellschaft muss besser werden, es kommt nicht auf mich an" können Sie ein beliebiges Verhalten an den Tag legen und sich dabei moralisch überlegen fühlen, weil Sie ja wissen, worauf es ankommt. Aus meiner Sicht ist das der Beginn des Verfalls der Gesellschaft an sich.
Genau. Sehr schnell kommt man in die Situation sich durch einzelne, erst mal als ökologisch angesehenen, individuellen Verhaltensweisen moralisch überlegen zu fühlen.
Ich schrieb, das ich in einem Passivhaus (tatsächlich gemessener Energieverbrauch für WW und Heizung unter 15 kWh/m²) in einer weitestgehend nachhaltigen und recycelbaren Holzbauweise fast ohne Verbundbaustoffe, wohne. Und das habe ich schon Anfang der 2000er Jahre gebaut. Von daher finde ich es tatsächlich sehr gut, wenn jemand mit einer PV-Anlage seine Energie für Mobilität und teilweise für Heizung erzeugt und auch verbraucht.
Der Bericht der TP zeigt jedoch ganz deutlich das diese individuellen Verhaltensweisen oftmals, wenn überhaupt, nur einen sehr geringen ökologischen Impakt haben.
Wir sind schlicht nicht in der Lage jede einzelne Maßnahme die uns als ökologisch angeboten wird auch zu bewerten. Der einzelne ist in der Auswahl der technischen Möglichkeiten stark überfordert.
Die Wirkung des individuellen Beitrags wird zusätzlich individuell hemmungslos überschätzt. Man hat für sich, so gesehen, das "richtige" individuelle Narrativ oder Wording gefunden.
Nämlich das: "Ich brauche mich in einer Gesellschaft mit hoch problematischem Konsum- und Verbrauchverhalten nicht anstrengen das gesellschaftliche "Narrativ" mit zu verändern, das wähe eh sinnlos und unmöglich. Aber jeder einzelne hat ja die technische Möglichkeit sein problematisches Konsumverhalten "ökologisch" zu gestalten. Wer das nicht tut, kann eben nicht rechnen oder ist eine Umweltsau.… Aber lass mich in Ruhe. Ich hab meinen Teil geleistet."
Eine gefährliche Form des Verfalls der Gesellschaft!
Die Gefahr des "falschen" Narratives des "Ich habe ja nun meinen Anteil geliefert" liegt erstens: im Unvermögen die ökologische Auswirkung seines individuellen Handels beim Hochskalieren auf die Gesamtbevölkerung zu erkennen und zweitens: Im Irrtum die eigene Leistung zu überschätzen mit der Folge nun eben aufzuhören weiter und weiter zu gehen. Wir können nicht immer überblicken was die Folgen unseres Handels sind wenn sich alle so Verhalten würden.
Was wir brauchen ist eine echte, neue Vorstellung von dem was wir tatsächlich brauchen und wie wir miteinander umgehen wollen. Eine positive, neue gesellschaftliche Utopie. Das E-Auto gehört, genau wie das EF-Passivhaus, als feuchter Traum des Funktionalismus der 30er und 50er Jahre, sicher nicht in diese Kategorie.
Die ehemals positive Zukunftsvorstellung der autogerechte Stadt, in der jeder individuell zwischen den Funktionsflächen zwischen EFH und Industrie hin und her diffundiert, wurde ua. schon von Rudolf Hillebrecht in den 50ern umgesetzt. Henry Ford setzte vor 100 Jahren mit der Tin Lizzie die Utopie des bezahlbaren individellen Massenverkehrs um. Elon Musk reitet einen toten Hund, aber mit Elektroantrieb. Die alte Zukunftsvorstellung einfach nur durch den Austausch des Energieträgers weiter zu spinnen ist schlicht viel zu kurz gesprungen. Wir brauchen zu aller erst neue Ideen und erst dann neue Technik.
Hier ist aber kaum eine Einigung möglich. Es handelt sich um Axiome des Handels und wir werden sehen, wie die Geschichte weitergeht.
Ganz genau so ist das. Und ich habe die Befürchtung das wir durch das Festhalten an den alten, überkommenen Zukunftsvorstellungen, auch wenn sie elektrifiziert sind, so viel Zeit verlieren das uns die Natur in Kürze eine dystopische Welt bereiten wird.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (19.05.2022 19:57).