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  • Wilko Fokken

mehr als 1000 Beiträge seit 25.03.2000

Re: Niall Ferguson hat bestimmte meinungen

Der Terrier schrieb am 17. Juni 2011 12:47

> "Ferguson, der als politisch konservativ gilt, unterstützte in der
> Vergangenheit oft die Außenpolitik des US-amerikanischen Präsidenten
> George W. Bush, wie etwa die Irakinvasion 2003;

Auch seinen General Powell hatte Bush hinters Licht geführt.

> dazu vgl. auch
> Fergusons Colossus. The Rise and Fall of the American Empire (dt.
> 2004: Das verleugnete Imperium. Chancen und Risiken amerikanischer
> Macht), wo Ferguson für die Notwendigkeit eines globalen „Hegemons“
> eintritt.

Als Hegemon würde ich "trotz alledem" im Vergleich zu Rußland oder
China immer noch die USA bevorzugen.

> Er trat ebenso für eine stärkere Kürzung der sozialen
> Mittel in den USA ein, da es ansonsten seiner Meinung nach zu ernsten
> finanzpolitischen Problemen kommen würde.

Wie Recht Ferguson damit hatte, wird gegenwärtig immer deutlicher.

Die finanzpolitischen Probleme der USA sind nicht mehr zu übersehen.
Ferguson zeichnet besonders aus, daß er nicht nur ein Historiker ist,
der die Worte geschichtlicher Dokumentationen abwägt, sondern auch
ein umfassend gebildeter Wirtschaftswissenschaftler:

"Andererseits - und dem Risiko ins Auge blickend, in einem
interdisziplinären Niemandsland harsche Kritik zu ernten - habe ich
mich bemüht, aus den tiefen Schützengräben der akademischen
Spezialisierung hinauszutreten. Vor allem habe ich versucht,
Wirtschafts- und Sozialgeschichte enger als gewöhnlich mit
diplomatischer und militärischer Geschichte zu verbinden.
Militärhistoriker haben bislang eine Neigung zu erkennen gegeben,
strategische und taktische Fragen zu erörtern, ohne angemessene
Aufmerksamkeit auf die wirtschaftlichen Zwänge zu lenken, unter denen
Generäle Entscheidungen treffen mußten. Wirtschafts- und
Sozialhistoriker tendierten indes besonders in Deutschland dazu, das
unmittelbare Kampfgeschehen zu vernachlässigen. Bewußt oder unbewußt
gingen sie davon aus, daß der Krieg an der "Heimatfront" und nicht
auf dem Schlachtfeld entschieden wurde. Und die meisten Historiker
neigen immer noch dazu, den Krieg aus dem Blickwinkel eines einzelnen
Nationalstaats zu untersuchen." (Neill Ferguson, "Der falsche Krieg")

> Nachdem die Regierung Bush
> dies nicht in dem von Ferguson als notwendig erachteten Maße
> umsetzte, sprach er sich im Jahr 2004 gegen die Wiederwahl Bushs
> aus."
> http://de.wikipedia.org/wiki/Niall_Ferguson

Nach Bushs Lügen eigentlich konsequent, oder nicht?

> Wenn jemand für Bush und den Irak krieg ist dann scheint er für dich 
> eine gute Meinung zu haben die von vielen hier bestimmt geteilt wird.

Hätte Saddam Hussein sich tatsächlich nukleare Kapazitäten beschafft
und hätte Bush dann "geschlafen" wie weiland Jimmy Carter, dann
hätten meisten mit seinem Andenken heute Fußball gespielt.

> Nicht jeder der eine andere Meinung hat ist damit automatisch
> im Recht und hat Recht. Und das Deutschland einer der
> Hauptverursacher des WW1 (und WW2) ist doch allgemein anerkannt.

(
 Das Wörtchen "doch" in Ihrer Argumentation erinnert mich an Kafkas
 Feststellung:

"Es ist "doch" heute unzweifelhaft dieser, der heutige Tag,
 an welchem der Fortschritt sich aufmacht, weiter fortzuschreiten."
)

"Der deutsche Chef des Generalstabs Helmut von Moltke (der Jüngere)
hatte den Kaiser bereits 1905 gewarnt, ein Krieg gegen Frankreich
könne nicht auf einen Schlag gewonnen werden, sondern werde sich zu
einem langen und zähen Kampf in einem Land entwickeln, das nicht eher
aufgeben wird, bevor seine Kraft total gebrochen ist. Auch das
deutsche Volk werde totaler Erschöpfung anheimfallen, SELBST WENN es
siegen sollte.
...
Moltke und Ludendorff hatten sogar im November 1912 eine schriftliche
Warnung an das Kriegsministerium gerichtet, um auch nur EINEN seiner
Feinde zu besiegen, werde Deutschland lange und schwer kämpfen
müssen; noch belastender werde es sein, an mehreren
Kriegsschauplätzen im Osten und Westen hintereinander zu siegen, da
man aus einer Position der Unterlegenheit antreten müsse. Absolut
notwendig sei die Bereithaltung von genügend Munition für einen
langen Kampf.
...
Oftmals haben sich Historiker gefragt, warum die militärischen und
politischen Führer Deutschlands in den Jahren vor dem Ersten
Weltkrieg eine derart pessimistische Haltung einnahmen. So
befürchtete beispielsweise Tirpitz im Jahre 1909 einen Blitzschlag
der britischen Marine gegen seine Flotte, während der im Ruhestand
lebende Schlieffen unter Alpträumen litt, die einen abgestimmten
Angriff auf die Mittelmächte durch Frankreich, Rußland,
Großbritannien und Italien betrafen.

<Tatsächlich hatte England geplant, mit seiner Flotte in die Ostsee
vorzudringen, um die russischen Armeen für eine riesige
Landungsoperation zu unterstützen. Dies hatte dann nicht nur
Hindenburg mit seinem großen Sieg in der Schlacht von Tannenberg
gegen eine überwältigende russische Übermacht vereitelt; auch die
Engländer selbst scheuten einen Kampf gegen die deutsche Kriegsflotte
in den engen Fahrwassern.>

Seinem Tagebuch vertraute der labile, nervöse Generalstabschef Moltke
an:
'Wir alle leben unter einem dumpfen Druck, der die Schaffensfreude
ertötet, und kaum jemals kann man etwas beginnen, ohne die innere
Stimme zu hören: Wozu, es ist ja doch vergebens.'
...
Deutschlands führende Militärs am Vorabend des Krieges fühlten sich
schwach und nicht stark. Und dies gilt nicht nur für seine
militärischen Führer. Denn niemand spürte diesen Pessimismus stärker
als Reichskanzler Bethmann-Hollweg.
...
Bereits im Januar 1913 rechnete der Generalstab 'mit der
Notwendigkeit für Deutschland, sich allein gegen Frankreich, Rußland
und England wehren zu müssen'" da im Falle eines Krieges gegen
Rußland Österreichs slawische Bevölkerung (ca. 50%) sich für den
Kampf gegen ihre Stammesgenossen kaum begeistern würde. (Ferguson,
"Der falsche Krieg", S.134-137)

Nach meiner Kenntnis hätte Deutschland den Ersten Weltkrieg kaum über
längere Zeit führen können, aus Mangel an Stickstoff zur Herstellung
von Schießbaumwolle. Dieser Stickstoff wurde in Friedenszeiten als
Guano-Dünger aus Chile eingeführt. Ohne die legendäre Erfindung des
Haber-Bosch-Verfahrens zur großtechnischen Bindung des Stickstoffs
aus der Luft (1915) hätte Deutschland wegen der britischen
Seeblockade sehr schnell die Waffen strecken müssen.

(Wie viele Hungertote diese Seeblockade bis zum Waffenstillstand im
November 1918 forderte, ist m.W. nicht bekannt; Fachleuten bekannt
ist jedoch, daß die nach dem Waffenstillstand im November 1918 bis
zum Mai 1919 fortgesetzte Seeblockade zur Erzwingung der deutschen
Unterschrift unter den Versailler "Friedens"-Vertrag eine Million
zusätzliche deutsche Hungertote forderte.)

Wissenschaft ist beständige Revision der bisherigen Erkenntnisse;
Dogmatiker suchen den Bestand der Erkenntnisse zu konservieren.

Wissenschaftler, die diesen Namen verdienen, sind also prinzipiell
revolutionär, Dogmatiker dagegen konservativ.

Ich halte Prof. Neill Ferguson nicht für konservativ.

"Man muß das Wahre immer wiederholen,
 weil auch der Irrtum um uns her immer wieder gepredigt
 wird und zwar nicht von einzelnen,
 sondern von der Masse, in Zeitungen und Enzyklopädien,
 auf Schulen und Universitäten.
 Überall ist der Irrtum obenauf,
 und es ist ihm wohl und behaglich im Gefühl
 der Majorität, die auf seiner Seite ist."

(Goethe zu Eckermann)

(Wie ich bereits in meinem vorigen Beitrag erwähnt habe, sollte für
die Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts in diesem Goetheschen Text
der Begriff "Irrtum" durch den Begriff "Lüge" ausgetauscht werden,
wenn es um Deutschland, die alliierte Propaganda und die Umerziehung
(Reeducation) des deutschen Volkes geht.)

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