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  • Mathematiker

mehr als 1000 Beiträge seit 22.02.2014

Doppelte Verarmung und Armut in der DDR und das Gerechtigkeitproblem

Im Grunde fängt der Artikel vom Suitbert schon richtig an: Armut ist relativ.
Gerne wird diese absolut, also an dem unmittelbaren Bedürfnissen des Menschen gesehen, ist aber relativ zu einer Gesamtheit zu sehen. Wer also in Beverly Hills nur einen Bentley in der Garage, aber nicht noch ein paar Porsche und Ferraris hat, der kann durchaus als arm gelten, auch wenn es im täglichen Leben an nichts mangelt.

Zudem klemmt die Definition daran, dass wieder einmal das Einkommen, statt dem Vermögen betrachtet wird. Wer 3 Millionen im Lotto gewonnen hat und beschließt nurnoch das Geld zu verprassen, der gilt als arm.

Zudem werden keinerlei geldwerten Vorteile berücksichtigt.
Das Nettoäquivalenzeinkommen lag für einen Single 2018 bei 22 713€ p.a., also 1892€ pro Monat. Als Arm gilt man bei 40% dieses Einkommens, also bei 757 €.
( "Armutsgefährdet", wäre man bei 1135 €)
In Deutschland galt 2018 ein Hartz-IV Satz von 416 €. In München hat ein Single-Hartz-ler ein Anrecht auf eine 50qm-Wohnung mit einer Kaltmiete von 670€ + 109€ Nebenkosten. Also kommt dieser Hartz'ler schon formal auf ein "Einkommen" von 1195€ und wäre nicht einmal "armutsgefährdet".
Der Mindestlöhner kam 2018 brutto pro Stunde 8,84€, also formal bei 40Std/W und 4 Wochen brutto 1414 € pro Monat, also ~ 1130 € und damit weniger, als ein Hartz'ler.

Fazit: Die ganze Sache bei unserem Wurschtel-System an einer formalen Grenze festzumachen, greift ins Leere. Die Leute mit niedrigem Einkommen bekommen erhebliche, geldwerte Vorteile, während man den Besserverdienenden schamlos in die Tasche greift. Wenn man sich die ganzen Strafzahlungen für die Kinder betrachtet, kann man sich nur die Augen reiben. De facto ist der Unterschied garnicht so gravierend, wie er den Anschein hat.

Zum Thema Ruhrgebiet: Die Kommunen wurden in die Verschuldung getrieben, weil sich deren Kostenanteil, z.B. für den Aufbau Ost, nur an der Einwohnerzahl und nicht an der Wirtschaftskraft orientierte. In der klassischen Industrieregion gibt es, Dank der Prekarisierung der Arbeit, im Schnitt weniger einkommenssarke Bürger, als die Verwaltungsmetropolen, bei denen die Löhne mächtig gepampert wurden. Aber das war alles gewollt.

Zudem sind viele der Flüchtlinge und Migranten ins Ruhrgebiet gezogen, weil die dort eher eine Chance gesehen haben, gutes Geld zu verdienen. Da es generell keine auskömmliche Finanzierung gibt, reißen solche Völkerwanderungen auch zwangsläufig die Kommunen in die Miesen.

Wir haben es hier also mit einer doppelten Verarmung zu tun.

Ansonsten etwas Nachhilfe für den Autor:
1. Der Median ist ein besseres Maß, als der Durchschnitt, denn diesen können schon wenige, extrem einkommensstarke Indiviuuen stark beeinflussen. Für das praktische Leben einer Stadt spielt es aber praktisch keine Rolle, ob dort ein Milliardär seinen Wohnsitz hat oder nicht.
2. Reichtum und Armut sind natürliche Phänomene einer Marktwirtschaft. Da Angebot und Nachfrage den Preis diktieren und die Bürger die Mündigkeit über ihre Finanzen besitzen, kommt es, selbst bei gleichen Löhnen zu Verschiebungen. Weil anders herum auch Gestaltungsmöglichkeiten bei Arbeit gibt, sind auch die Einkommen unterschiedlich. Dafür gibt es aber auch eine Gerechtigkeit der Gleichheit. Auch wer nur relativ wenig Geld verdient, kann z.B. sparen, um bei seinem Traumkonzert in der ersten Reihe zu sitzen oder sich einen außergewöhnlichen Urlaub zu leisten.
3. In der DDR gab es geringere Unterschiede bei der Entlohnung, aber trotzdem eine höhere Ungerechtigkeit. Warum? Die Sahnestücke griff die Nomenklatur ab. Danach kam der Schwarztausch, bei dem sich die Verantwortlichen als Tauschobjekte gegenseitig die guten Stücke zuschannzten. Wer das Pech hatte, nicht an der Quelle zu sitzen oder über Beziehungen verfügte, der schaute in die Röhre und kam auch mit viel Alu-Chips nicht weiter. Wie bei einer gefakten Lotterie, bei denen auf wundersame Weise immer die Gleichen gewinnen und für die Anderen fast nur Nieten bleiben.
Nebenbei: Selbst den Armen in der BRD ging es damals besser, als den Reichen in der DDR.

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