Der Mangel an Impfstoffen ist in erster Linie ein Marktversagen. Die Industrie schafft es in der EU nicht, relativ schnell auf die Nachfrage eines großen Marktes nach Impfstoffe zu reagieren. Pannen bei der Produktion sind das eine, Gewinninteressen das andere. Pfizer erpresst die Länder Lateinamerikas mit Forderungen, jegliche Haftungen, auch eigene fahrlässige, auszuschließen, was bei anderen Pharmaprodukten nicht üblich ist. Vermutlich haben sie das in den EU-Verträgen auch so festgeschrieben. Risiken werden sozialisiert, Gewinne privatisiert. Der übliche Kapitalismus also.
Das Gegenargument, es könne ja rein physikalisch nicht so schnell so viel produziert werden, wird durch GB und die USA widerlegt. Die Verhandlungen waren zwischen August und Oktober 2020 abgeschlossen, nach Aussagen von Kennern dauert das Hochfahren der Produktion 3-6 Monate. Das wäre dann zwischen November und März gewesen, wenn ich davon ausgehe, dass der Markt erst nach Abschluss der Verhandlungen Produktionen organisiert. Theoretisch könnte das aber unter anderen Umständen auch eher geschehen. Marktversagen wie im Stalinismus eben.
In zweiter Linie haben wir es mit einem Politikversagen zu tun. Die marktradikale Annahme, dass die Industrie das schon selber mit unsichtbarer Hand regelt, hat sich mal wieder als falsch erwiesen. Die EU hat es versäumt, mehr Produktionsorte zu fordern, sowie für eine Zusammenarbeit der Industrie zu sorgen. Das lief in GB und den USA offensichtlich besser, vor allem in GB wurde der Produktion mehr Aufmerksamkeit geschenkt.
Inzwischen erkennen einzelne Personen aus dem EU-Apparat und den Mitgliedsstaaten, dass eine regional differenzierte Produktionsstrategie für dringend und schnell benötigte Pharmaprodukte in der EU fehlt. Dazu gehört auch eine staatliche Beteiligung an Pharmaunternehmen, um Einfluss auf die Produktionskapazitäten zu haben, die idealerweise ähnlich vorgehalten werden sollten, wie andere wichtige medizinische Produkte. Möglicherweise wird das eine Lehre des derzeitigen Impfstoffmangels sein, ein Mangel, der voraussichtlich mit der Zeit desto weniger wird je mehr die Produktionen hochfahren, je mehr Stoffe zugelassen und produziert werden. Das mehr an Zeit durch Markt- und ideologisches Politikversagen verlängert allerdings die inzwischen unerträglichen Beschränkungen und fordert mehr Opfer. Mit einem weiteren sturen Festhalten an markradikaler Ideologie wird sich jedoch in Zukunft nichts ändern.
Der Impfnationalismus bietet keine Lösung. Der Ansatz, das in der EU zu organisieren war ja nicht verkehrt. Es fehlte bloß eine globale EU-Produktionsstrategie. Impfnationalismus bedeutet, dass Grenzgänger und Lieferketten leiden, dass die offenen Grenzen in der EU in Frage gestellt würden, dass Mitgliedsstaaten sich wie zu DDR-Zeiten sich einigeln. Eine Pandemie lässt sich nicht national lösen, die Gefahr, dass neue Mutationen entstehen und reinschwappen ist sehr groß. Eine Schwemme an Impfstoffen in der EU bedeutet, dass einerseits die Bevölkerung in der EU schnell durchgeimpft werden könnte und überschüssige Stoffe schnell dem Weltmarkt zur Verfügung gestellt werden könnten. Mit einem solchen Angebot würde der Markt die dringende globale Nachfrage bedienen können.