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Avatar von /Rak
  • /Rak

mehr als 1000 Beiträge seit 26.10.2001

Was für eine küchenphilosophische Kaffeesatzleserei...

Erst mal:

Zu dem Mann, der die Benzinbombe und den Flammenwerfer gebastelt hat, ist nicht wirklich was offizielles bekannt. Alter: 57. Hat Vorstrafen Hat angeblich "viele Vorräte angelegt" - aber genaues dazu weiß man auch nicht. Er soll "Corona-Leugnern nahestehen" (was immer das nun heißen soll...) -aber nichts genaues weiß man nicht.
Aber gehen wir mal davon aus, dass der Typ tatsächlich ein Prepper war und dass er "Corona-Leugner" war und an die Impfchips von Bill Gates gehlaubt hat. Wenn man an die jungfräuliche Empfängnis glauben kann, warum auch nicht an so was mindestens ähnlich abstruses.

Aber dann weiß man noch immer nicht, was da genau der Hintergrund der Tat war. Und da gibt es viele Möglichkeiten und Erklärungen - auch für den Überquellenden Briefkasten.
Zum einen wäre es tatsächlich möglich, dass sich der Täter in der Wohnung "verbarrikadiert" hat, weil er sich von der Welt da draußen abschotten wollte, aufgrund psychischer Störungen. Es wäre da dann sogar möglich, dass er den Tod seiner Mutter über Wochen verdrängt hat - weil er es nicht wahr haben wollte - und eben an wahnhaften Störungen/Schizophrenie oder ähnlichem litt. Und in einer realitätsfernen Fantasiewelt voller wirrer Verschwörungstheorien gelebt hat. Weswegen er dann seine Wohnung gegen den "Angriff" der Polizei verteidigen wollte. Die Einsamkeit/Abgeschiedenheit war dann so auch möglicherweise einfach passiert. Und hat ihn womöglich sogar seelisch stark belastet. Was seine Krankheit nur noch stärker zum Vorschein kommen hat lassen.

Es wäre aber auch genau so gut möglich, dass er einfach von der Rente seiner nun toten Mutter gelebt hat. Und deren (eventuell von ihm sogar verusachten) Tod so lange wie möglich verschleiern wollte. Damit die Rente weiter aufs Konto kommt. (Es wurde ja nichts zur Fundsituation der Mutter öffentlich.. eventuell lag sie ja in der Tiefkühltruhe oder war ordentlich zerteilt im Backofen getrocknet worden um den Verfall aufzuhalten oder wie auch immer..) Und als er dann nicht aufgepasst hat quoll eben der Briefkasten über - macht meiner auch mal gern, weil die immer so beschissen viel Werbung reinstopfen, egal was man an den Briefkasten schreibt. Also kam die Polizei. Er hat offensichtlich schon eine kriminielle Karriere eingeschlagen. Hatte keine Lust auf noch mal Knast und z.B. als Atheist oder gar als Neuheide (über seinen Glauben ist ja auch nichts bekannt...) keinerlei Probleme lieber im Kampf zu sterben als dort im Knast z.B. noch mal vergewaltigt oder verprügelt zu werden. Und wollte sich dann "im großen Finale" einfach selbst umbringen, weil er mangels offensichtlicher Schuld die nächsten 10 Jahre wohl nur gesiebte Luft atmen würde. Eventuell war er ja auch noch Alkoholiker (was dann auch den überquellenden Briefkasten und die Zurückgezogenheit erklären würde..) und hatte noch Angst davor im Knast nichts zu trinken zu bekommen.
Also ging er am Ende "all in". Ohne Rücksicht und ohne Empathie. Damit alles irgendwann vorbei ist.
Auch das nur: Eines von sehr vielen möglichen Szenarien.

Genau so kann er aber z.B. auch gar nicht mit der Polizei gerechnet haben, sondern z.B. mit einer zwielichtigen Gestalt aus der Unterwelt, welcher er viel Geld schuldet. So das er eben mittels überquellendem Briefkasten seine Abwesenheit vorgetäuscht hat. Und dann, als es an der Tür geklopft und "Polizei, machen sie die Türe auf" gerufen hat - ein Satz, denn zwar nur Polizisten sagen dürfen, den aber auch ein Schlägertrupp vor der Haustür sagen kann - da hat er eben die Jungs von der Inkasso aus Süditalien vermutet, denen er viel Geld schuldet. Und die z.b. mit einer Geflügelschere ganz geschickt und fingerfertig umgehen können. Also hat er sich eben vorbereitet und gegen die "Gangster" verteidigt, die er nicht als Polizei identifiziert. Und es kam zur Katastrophe.

Und ja - das ist an den Haaren herbei gezogen.
JEDES dieser Szenarien ist eigentlich an den Haaren herbei gezogen. Und nur, weil da ein Innenminister oder ein Nachrichtensprecher was vermutet muss das noch lange nicht der Tatsache entsprechen. Was genau passiert ist und was genau warum passiert ist, das ist eben nicht bekannt. Von daher sind die Spekulationen darüber, ob das alles eine Folge der Einsamkeit ist, einfach küchenphilosophische Kaffeesatzlesereien in meinen Augen.

Wobei man zudem mal festhalten sollte, dass nicht jeder Mensch, der in der Einsamkeit lebt, automatisch auch gleich Krank ist und deswegen dann Hilfe braucht - "selbst wenn er es noch nicht selbst weiß". Klar gibt es diese Fälle von vereinsamten Menschen, die sich dann durch die Vereinsamung in einer Abwärtsspirale befinden. Und die dann auch Hilfe brauchen - notfalls mit bisschen Nachdruck.

Aber eben nicht Mensch hat Lust auf ein soziales Gruppenkuscheln und soziale oder har körperliche Nähe, als Teil der großen Herde. Umgeben von Mitmenschen.
Da sollte man als Psychologe schon bisschen aufpassen, dass man eben nicht seine eigene Gefühlswelt und seine eigenen Wertvorstellungen und Normen einfach mal blind auf andere Projiziert. Oder gar eine pathologische Einordnung nach Störungen vor nimmt. Denn es gibt tatsächlich durchaus Menschen, die einfach kein großes Bedürfnis nach der Herde haben. Kein Bedürfnis ständig umgeben zu sein von Mitmenschen. Und damit meine ich nicht mal hochfunktionale Autisten/Aspis ode so (zu denen ich nebenbei selbst auch gehöre..) - es gibt einfach auch viel Menschen, die mit einer selbstgewählten Einsamkeit und Abgeschiedenheit (oft über eine sehr lange Zeit) einfach glücklicher sind als in Gesellschaft. Weil sie dann z.B. einfach ihren Gedanken nachgehen könne. Oder weil sie durch diese Abgeschiedenheit und das Leben als Einsiedler besser mit Gott in Kontakt kommen können. Oder weil sie einfach die Ruhe, die einsame Weite lieben. Ohne Gruppendruck. Ohne soziale Zwänge von außen.

Und so neu ist das nebenbei eigentlich auch nicht, dass Menschen durchaus mal positives in der Einsamkeit sehen können und nicht nur negatives: Schon die Stoiker der Antike sahen da eben eine Ambivalenz der Einsamkeit. Und das sind dann eben nicht "aus der Welt gefallene Männer" gewesen. Da trieb auch nichts auf die Katastrophe zu wegen der Einsamkeit. Oder um mal Seneca zu zitieren:
„Man muss beides verbinden und miteinander abwechseln lassen, Einsamkeit und Geselligkeit. Die eine weckt in uns die Sehnsucht nach Menschen, die andere die Sehnsucht nach uns selbst.“ Wobei man als Individuum immer noch selbst entscheiden kann, wie stark man welchen Pol dieser Dualität gewichten möchte.

Aber der modernen, egalitären Gesellschaft - man könnte fast schon sagen: zwangsegalitären Gesellschaft - wird leider viel zu oft alles als "krank" oder "schädlich" und vor allem als "zu beseitigend" bezeichnet, was nicht der Norm, der Vorstellungswelt und der Wertvorstellungen der großen Gleichmacher entsprechen kann und will. Nur will in der schnöden Realität eben nicht jeder Mensch in einer schönen heilen Teletubby-artigen Welt leben, in der alle Gruppenkuscheln und sich fröhlich blökend bei Sonennschein in der Großen Schafherde tummeln.
Manche Menschen habe da schlicht und einfach keine Lust dazu. Und auch die haben ein Recht auf eine individuelle Enfaltung ihrer Persönlichkeit. Und wenn da wie bei einem Emerson oder bei einem Thoreau dann mal dazu gehört, dass man auch mal Jahre zurückgezogen in einer selbstgebauten, einfachen Blockhütte im Wald verbringt.
Um sich mit sich selbst und vor allem ungestört mit seiner Umwelt zu beschäftigen.

Und um das noch mal klar zu stellen:
Ich sehe das hier nicht aus meiner persönlichen Perspektive, auch wenn ich im Prinzip ganz gut mal alleine klar kommen kann (und nach einem langen Arbeitswoche mit ständig sehr vielen Menschen um mich herum auch einfach mal gern lange hinter dem Haus sitze um die Ruhe und den Wind und die Stille dort zu genießen) - aber es gibt eben auch Menschen, die mehr als glücklich sind, wenn sie eben nicht ständig mitten in der Herde sind. Einsame Wölfe, die durch die Welt ziehen, Einzelgänger, die damit aber mehr als zufrieden sind. Und auch nichts anders brauchen oder wollen. Und diese Menschen sollte man genau so respektieren wie jene, die vereinsamen und daran leiden. Und dann Hilfe brauchen.

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