Mich erinnert Seehofer an einen alternden Greis, der seine Manneskraft schwinden spürt.
Er merkt, dass er den Gipfel überschritten hat, und dass es nur noch abwärts geht - und dagegen wehrt er sich mit Händen und Füßen. Jetzt erwartet ihn seine Modelleisenbahn im Eigenheim, seine Frau, der Garten, die Stille, das Nichtstun, die Leere des Alters.
Er kann es noch, das will er beweisen, auch wenn er spürt, dass die zweite Reihe schon ungeduldig drängelt. Einen Posten, den des gütlichen Landesvaters, hat er notgedrungen schon abgegeben, dafür hat er sich nach Berlin gerettet und den Bundesinnenminister gesichert, den er, ganz der traditionsbewusste Bayer, zum Heimatminister aufgewertet hat. Die einzige Frage, die noch im Raum steht, hört er ständig unausgesprochen: "Wann ist der Alte endlich weg?" Er klammert sich an seine Positionen, und er macht noch ein Mal, ein letztes Mal, ein großes Fass auf.
In den Sondierungsverhandlungen hatte man sich praktisch schon mit den Grünen geeinigt, die Koalitionsverhandlungen mit der SPD verliefen ruhig und sachlich, aber jetzt macht er plötzlich fundamentalistische Opposition von der Regierungsbank, als ob er die letzten Jahre nicht mitregiert hätte, und das dann auch noch gegen die Schwesterpartei, als ob die Auswahl von Koalisionspartnern so groß wäre. Er greift als Innenminister in die Außen- und Europapolitik ein und verweigert die grundgesetzliche Richtlinienkompetenz der Kanzlerin, die für Parteivorsitzende wie ihn nicht gelten darf. Damit wirbelt er nicht nur die bundesdeutsche, sondern gleich die europäische Politik durcheinander und setzt die Kanzlerin auch international unter einen unwillkommenen Zugzwang, der es schließlich niemandem mehr ermöglicht, nachzugeben. Die gewollte, die gezielte, die unausweichliche Eskalation.
Das ist natürlich auch ein Mann-Frau-Ding. Er will allen seinen Willen aufzwingen, vor allem der mächtigen Frau, der Kanzlerin, und um Inhalte geht es dabei gar nicht mehr. Sein Wille ist das Symbol für seine Macht, für seine Kraft, für seine Bedeutung. Auf der großen Bühne, die er bereitet hat, macht er das größte Theater seiner Karriere: er inszeniert sich als stur, kraftvoll, selbstbewusst, willkürlich, unberechenbar, beharrlich, unbeugsam, volksnah, patriarchalisch, starrsinnig, egozentrisch, heimatverbunden, detailversessen, unzugänglich, wütend, rechthaberisch, kleingeistig, einzelgängerisch.
Jetzt stehen alle in der Sackgasse und fragen sich, wie es weitergeht, aber er weiß schon, wie er immer noch weiter eskalieren kann, und nun gibt es von ihm gnädigerweise das Ultimatum nach dem Ultimatum, die allerallerallerletze Chance zur Einsicht, die hundertste Gelegenheit, ihm endlich doch noch nachzugeben und ihn damit zu besänftigen, ihn zum Bleiben zu bewegen, was natürlich niemand will, sie sind ja alle froh, wenn er endlich weg ist, spätestens nach dieser unwürdigen Charade. Nur die Treuesten halten jetzt noch zu ihm, und er wittert inzwischen den Verrat, der ihn zusätzlich kränkt, seinen Stolz und seine Eitelkeit herausfordert, und ihn noch unberechenbarer macht. Ohne Rücksicht auf Verluste, ohne Sinn und Verstand, ohne Gespür für die tiefen Schäden, die er anrichtet, wütet er vor sich hin.
Ein sterbender Gigant, der sich ein letztes Mal aufbäumt. Wer jetzt an Godzilla-Filme denkt, liegt nicht ganz falsch.
Wir wissen nicht, was die Geschichte dereinst über Seehofer sagen wird, aber sein Abgang ist ohne Würde.
Die inzwischen unvermeidliche Tragödie, die keiner wollte, wird als letzter Ausweg zur Farce uminszeniert. Vielleicht können wir eines Tages darüber lachen.
fr.osch